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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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dem französischen König und Karl V. seine bisherige Neutralität aufgab, so war es nur eine Frage der Zeit, bis letzterer die Franzosen aus Italien zurückgedrängt und somit endlich freie Hand hatte, um sich mit der Bekämpfung der Reformation im Reich zu beschäftigen.
    Martin Luther rieb sich über das stoppelige Kinn. Er hatte dem Kaiser in Worms Auge in Auge gegenübergestanden. Vierzehn Jahre waren seitdem vergangen, und doch erinnerte sich Martin lebhaft an die ernsten, maskenhaften Gesichtszüge, welche, ungewöhnlich für einen Jüngling von neunzehn Jahren, keine Gefühlsregung und erst recht keinen Widerspruch gelten lassen wollten. Nun, er selber hatte dem Kaiser auch nicht widersprochen, sondern sich lediglich geweigert, seine Thesen über den schändlichen Schacher der Dominikaner mit dem Seelenheil des Volkes zurückzunehmen. Aber der Kaiser hatte noch nie die Notwendigkeit gesehen, zwischen seinen Feinden Unterschiede zu machen. Luther war davon überzeugt, daß Karl V. keinen Augenblick zögern würde, den Schmalkaldischen Bund zu zerschlagen und die Rückkehr seiner evangelischen Untertanen in den Schoß der römischen Kirche mit Waffengewalt zu erzwingen.
    Und er würde einen Scheiterhaufen entzünden lassen.
    Luther bemerkte, daß die Herren von ihren Plätzen aufstanden und aufgeregt zu debattieren begannen. Ein Luftzug streifte seine erhitzten Wangen, als sich die Tür des Nordportals öffnete und sein Schreiber Lupian die Kirche betrat. Der untersetzte Mann mit dem kahlgeschorenen Schädel wirkte nervös, beinahe bestürzt. Aus den Augenwinkeln beobachtete Luther, wie er sich unaufhörlich mit der Zunge die Lippen befeuchtete, als wäre er am Verdursten. Irgend etwas lastete dem Schreiber auf der Seele, aber was immer es war, es mußte warten. Eine weitere schlechte Nachricht würde er sich heute gewiß nicht mehr anhören. Nur mit Mühe gelang es Luther, sich in dem Durcheinander Gehör zu verschaffen.
    »Meine Herren, ich bitte Euch, die Heiligkeit dieses Ortes zu achten. Gewiß mahnen uns die Nachrichten unseres Freundes über den neuesten Schachzug des Kaisers zur Vorsicht, gerade deshalb muß es unser höchstes Ziel sein, ein Konzil in Mantua zu verhindern.«
    »Doktor Luther hat recht«, pflichtete ihm Melanchthon bei. »Falls Papst und Kaiser tatsächlich ein Konzil einberufen, müssen wir darauf bestehen, daß es in Deutschland und nicht in Italien stattfindet. Auch wenn ich für eine Versöhnung mit dem Kaiser eintrete, glaube ich nicht, daß er die Macht seiner deutschen Kurfürsten noch weiter schwächen darf. Wir müssen alles daransetzen, den Bund der evangelischen Reichsstände zu stärken. Auch der kursächsische Adel darf nicht länger abseits stehen. Dennoch schlage ich vor, die Gespräche bis zur Ankunft des Abgesandten von Landgraf Philipp von Hessen und der eigentlichen Bundesversammlung im Februar zu vertagen.«
    Die Männer blickten einander an und nickten schließlich.
    Nur Luther saß reglos da und dachte angestrengt nach. Er verstand den verzweifelten Wunsch seines Freundes nach einer Einigung mit der kaiserlichen Partei, ebenso dessen Treue zur Obrigkeit. Bis zum Reichstag von Augsburg, der nun sechs Jahre zurücklag, hatte er nicht anders gedacht. Selbst der Gründung des Waffenbündnisses von Schmalkalden hatte Luther erst zugestimmt, nachdem eine Armee von Advokaten ihn davon überzeugt hatte, daß die Fürsten keine gewöhnlichen Untertanen, sondern eigenständige Obrigkeiten waren. Doch welchen Blutzoll hatten seine Worte von der ›Freiheit eines Christenmenschen‹ gefordert, als die Bauern sie wörtlich nahmen und die Waffen gegen ihre Herren ergriffen?
    »Noch einmal werde ich diesen Fehler gewiß nicht begehen«, sagte er grimmig vor sich hin. Trotz der Kälte im Gotteshaus spürte er, wie er unangenehm zu schwitzen begann. Durch die bunten Glasfenster drang ein Sonnenstrahl und tauchte die Rundbögen mitsamt dem Relief der Jungfrau Maria in einen warmen roten Lichtschein. Luther murmelte eine Entschuldigung und winkte seinem Schreiber, ihm ins Freie zu folgen.
    ***
    Die Mittagssonne warf rote und gelbe Streifen auf das Dach des Badehauses, als Philippa mit feuchten Haaren unter dem Schleier auf den Hof trat. Ihre Hände dufteten noch immer nach der Honigseife, die ihre Tante früh am Morgen für sie neben den Waschzuber gelegt hatte. Ein sanfter Wind streichelte ihre erhitzten Wangen, und für einige Momente wurde sie von einem heftigen Schwindelgefühl

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