Die Magistra
die beiden dann mit einer lästigen Zeugin anstellen würden, lag auf der Hand.
Die Frau im Gebärstuhl rief der Barle etwas zu und deutete mit hektischen Bewegungen in ihre Richtung.
Sie will ihr Geld, schoß es Philippa durch den Kopf. Sofort und ohne Umschweife. Die Hebamme hatte den Säugling abgerieben und auf den schmutzigen Tisch gelegt. Nun machte sie sich daran, ihn in einige Stoffetzen zu hüllen. Mit einem Satz sprang Philippa vor und nahm das schreiende Bündel an sich. Verwundert blickte die Barle auf. Ihre glanzlosen Augen weiteten sich, doch als sie ihren Fehler begriff, war es bereits zu spät.
»Dreckige Betrügerin, was hattest du draußen am Anger verloren? Her mit dem Balg!« Ihre Stimme klang wie das Gebrüll einer wilden Katze. Auch die Frau auf dem Gebärstuhl begann aufgeregt zu schreien. Dann hielt die Barle plötzlich drohend die Zange in der Hand, mit der sie die Nabelschnur durchtrennt hatte. Mit haßerfülltem Blick machte sie einen Schritt auf Philippa zu. »Ich schlage dir den Schädel ein!«
Philippa duckte sich im letzten Moment. Die Zange schlug eine Kerbe in das rauhe Holz des Stützbalkens. Ehe die Barle erneut ausholen konnte, trat Philippa mit aller Kraft gegen die wackelige Tischplatte. Mit lautem Gepolter fielen die Schüsseln und Flaschen herunter und zerbrachen auf dem harten Lehmboden.
Philippa nutzte das erschreckte Zögern der alten Hebamme und eilte zur Tür. Das Kind hatte aufgehört zu schreien. Reglos hing es in Philippas Arm, als sie auf die Gasse stürzte und sich voller Panik nach einem Ausgang aus dem schmutzigen Hinterhof umsah.
Dort, der Torbogen hinter dem Pulverturm. Philippa glaubte, sich an ihn zu erinnern. In ihrem Rücken hörte sie noch immer das Geschrei der Frau im roten Leinenkleid, doch dann erstarb es abrupt. Vermutlich hatte sich die Barle an ihre neugierigen Nachbarn erinnert, die auf keinen Fall etwas von diesem Streit mitbekommen durften.
Es war dunkel geworden. Durch die klapprigen Fensterläden der Holzhütten und Lehmkaten entlang des Grabens drang nur wenig Licht auf die Straße. In diesem Viertel wurde nicht gefeiert wie auf dem Marktplatz oder bei St. Marien. Die Armen hatten keinen Grund, für das fürstliche Treffen der Schmalkaldischen in ihren Mauern Dank zu zeigen. Philippa wich einer Wasserlache aus – und stieß mit einer dicken Frau zusammen, die mit einem Binsenkorb durch den Torbogen lief.
»Paßt doch auf, wohin Ihr lauft, Jungfer«, herrschte das Weib Philippa an. Ihre Augen und die fetten Wangen waren grell geschminkt, und an ihren Ohren baumelten goldene Ringe. Blitzschnell schlug Philippa ihren Umhang vor der Brust zusammen und schob sich an der massigen Frau vorbei. »Kennt Ihr das Haus einer Frau, die Barle gerufen wird?« hörte sie die ölige Stimme in ihrem Rücken.
Ein eisiger Hauch strömte durch Philippas Körper, dennoch spürte sie, wie sich ihre Muskeln strafften. »Geht zum Pulverturm!« sagte sie leise, hoffend, daß der Säugling unter ihrem Umhang nicht im nächsten Augenblick zu schreien begann. »In dem Haus nebenan werdet Ihr sie finden!«
Die Schnäpperin verschwand in der Dunkelheit der Gasse, ohne Philippa eines weiteren Blickes zu würdigen. Erleichtert wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und setzte ihren Heimweg fort. Von irgendwoher drang das Plätschern eines Brunnens an ihr Ohr, demnach mußte sie jeden Moment auf einen größeren Platz stoßen. Unter ihrem Umhang begann der Säugling sich wimmernd bemerkbar zu machen. Philippa schlug das Tuch zurück.
»Du brauchst keine Angst mehr zu haben, mein Kleiner. Diese Frauen werden dich niemals in die Finger kriegen, das verspreche ich dir bei …«
Allen Heiligen, hatte Philippa sagen wollen, doch sie tat es nicht, weil sie fühlte, daß diese Nacht nichts mit den bunt bemalten, freundlich blickenden Figuren ihrer Kindheit gemein hatte. Sie waren im Nebel ihrer Erinnerung verschwunden, und ob sie jemals wiederkehrten, blieb ungewiß.
10. Kapitel
»Es ist einfach ungeheuerlich! Die Stadtwache hat das ganze Viertel rund um den alten Pulverturm auf den Kopf gestellt. Ohne Erfolg! Die Barle hat sich aus dem Staub gemacht und nichts als einen Haufen Scherben zurückgelassen!«
Schimpfend lief Martin Luther durch die Wohnstube und machte seiner Erbitterung Luft. Besorgt blickte seine Frau von der Wiege auf, in die sie und Philippa das Kind gelegt hatten. Es war erst vor einer Weile eingeschlafen, und die Frauen hatten Angst, es könnte
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