Die Magistra
durch Luthers Zornesausbruch wieder geweckt werden.
»Und was ist mit den beiden anderen Frauen?« wagte Philippa einzuwerfen. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Roswitha stand wie eine Säule neben dem Kamin und beobachtete sie vorwurfsvoll. Katharina hatte ihr mit vielen Worten erklärt, daß sie sich ganz richtig verhalten hatte, schließlich hatte sie nur helfen wollen. Doch schien es zwischen ihr und der Amme auch eine unausgesprochene Übereinkunft zu geben, Philippa keine weiteren Spaziergänge ohne Begleitung mehr zu gestatten.
»Die verdammten Schacherweiber hatten sich in Luft aufgelöst, kaum daß der erste Soldat das Elsterviertel erreichte«, antwortete ihr Onkel mürrisch und trat an den Kamin, um sich die Hände zu wärmen. Roswitha machte dem Hausherrn ergeben Platz. Aufgeregt suchten ihre Augen in der Stube nach einer sinnvollen Betätigung, die ihre Anwesenheit zu so später Stunde rechtfertigte und ihren Rückzug in die Kammer der alten Muhme somit hinauszögerte. Zwischen den aufgeschlagenen Büchern des Hausherrn steckten zerknitterte Briefe; Anfragen lagen überdies überall auf Pulten, Bänken und Schemeln herum, Gutachten mit roten Siegeln, Streitsachen, Bittschriften. Aber da weder Luther noch seine Frau sich daran zu stören schienen, wagte Roswitha nicht, ihre Hilfe anzubieten. Als sie in einem dunklen Winkel einen Stickrahmen fand, ließ sie sich erleichtert hinter ihm nieder und zog, von der Unterhaltung scheinbar unberührt, die Schraube über dem zerknitterten Leinen fest.
»Ich möchte zu gerne wissen, wer die Unbekannte war, die von der Barle entbunden wurde«, sprach Luther gedankenverloren in die Flammen. »Ich vermute, daß sie sich bereits vor Monaten an die Alte gewandt hat, um ihre Leibesfrucht loszuwerden, aber aus irgendeinem Grund konnte oder wollte ihr die Hebamme diesen Wunsch nicht erfüllen und überredete sie statt dessen zu dem fürchterlichen Schacher. Die Barle war einmal eine geachtete Hebamme, doch dann starb ihr Gemahl, der Flachsweber Breitmichel, an der Pest, und sie entschied sich dafür, dem Herrn zu entsagen. Wir hätten längst etwas gegen ihre Machenschaften unternehmen müssen, aber seit dem Teufelspakt dieses armseligen Naumburger Studenten im vergangenen November ist der Stadtrat auf diesem Ohr so gut wie taub!«
Bestürzt sah Philippa ihren Onkel an. Seiner besorgten Miene zufolge schien er das Gerede um die angeblichen Hexenkünste der alten Barle für bare Münze zu halten. Dies erklärte einiges, auch Philippas Begegnung mit Johannes und dessen Kameraden am Anger, die sie ihren Verwandten wohlweislich verschwiegen hatte. Johannes würde sich hüten, darüber zu reden, und sie fand, daß sie in dieser sonderbaren Stadt an einem einzigen Tag für genug Aufsehen gesorgt hatte.
»Dein Onkel setzt sich seit Jahren für die Hebammen der Stadt ein«, sagte Katharina Luther, ohne ihre Hand von der Wiege zu nehmen. Es war eine hübsche Wiege aus hellem Kiefernholz, die mit kunstvollen Blumen- und Tierschnitzereien versehen war. Im vorletzten Sommer hatte sie noch die kleine Margarete darin geschaukelt. »Die gereinigte Christenlehre stärkt ihren Stand, weil es der Mutterschaft größere Beachtung schenkt als das alte Papsttum. Mein Gemahl hat den Hebammen sogar das Privileg eingeräumt, der Frau im Kindbett die Beichte abzunehmen und ihr Kind zu taufen, wenn kein Geistlicher in der Nähe ist. Allerdings müssen sie sich freiwillig der Aufsicht des städtischen Physikats unterstellen und versprechen, ihren heidnischen Geburtspraktiken zu entsagen.«
»Alle Hebammen der Stadt melden Entbindungen, die sie innerhalb der Stadtgrenzen vornehmen, dem Rat«, bestätigte Luther grimmig, »alle, außer der Barle. Sie verlangte Privilegien, die ihresgleichen nicht zustanden. Aus diesem Grund wurde sie auch aus dem Kreis der Wehmütter ausgestoßen. Die Hebammen konnten es sich nicht leisten, durch Weiber wie die Barle in Verruf gebracht zu werden.«
»Durch verwirrte alte Frauen, die aufgrund ihrer Armut Verbrechen begehen oder wahrhaftig durch schwarze Magie?« fragte Philippa mit Argwohn in der Stimme. Roswitha hantierte im Hintergrund geräuschvoll mit ihrem Stickrahmen.
»Wo ist da der Unterschied, Nichte? Immerhin mehren sich täglich die Gerüchte von Hebammen, die einen Pakt mit dem Leibhaftigen eingehen. Von Frauen, die Neugeborene den Dämonen der Luft opfern, weil die unschuldigen Seelen noch nicht den Erdboden berühren können und …«
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