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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Luther sprach nicht weiter. Erschöpft ließ er sich in einen Sessel fallen. Seine Hände umklammerten die geschwungenen Armlehnen, als befürchtete er, das Gleichgewicht zu verlieren.
    Maria Lepper betrat die Stube mit einem Tablett, auf dem eine Kanne heißer Wein und ein Teller Mehlgrütze mit braunem Zucker standen. Mit einem trotzigen Seitenblick auf ihre Herrin stellte sie die Speisen vor Philippa auf die Tafel und schickte sich an, wortlos zu gehen.
    »Ja, verschwinde nur«, rief ihr Katharina ärgerlich hinterher, »aber glaube bloß nicht, daß du mir ungeschoren davonkommst. Wenn du im Schwarzen Kloster geblieben wärest, anstatt dich auf dem Freihof zu verkriechen, wäre meine Nichte niemals in diese schreckliche Lage geraten. Nein, Philippa, laß nur, Maria kann das ruhig hören!«
    Gewiß, dachte Philippa müde und nahm einen kräftigen Schluck Wein. Ich hätte die Barle nicht getroffen, und das Kind in Katharinas Wiege läge mittlerweile im Karren einer fahrenden Gauklertruppe, auf dem Weg zu den Muselmanen. Das Leben war hart, nicht nur für widerspenstige Mädchen und scheue Dienstmägde. Dennoch hatte Maria den Zorn der Lutherin nicht verdient. Philippa würde in einer ruhigen Minute mit ihrer Tante reden müssen, wenn sie wieder besserer Laune war.
    »Was soll nun aus dem Kleinen werden?« rief Luther und schenkte seiner Frau einen liebevollen Blick. »Wir können das Kind nicht behalten, Katharina. So gern ich's täte, es geht nicht. Dir kann ich beim besten Willen keine weitere Bürde aufhalsen. Mir tut es leid, daß ich dir nicht mehr Arbeit abnehmen kann …«
    »Es braucht dir nichts leid zu tun«, unterbrach ihn Katharina. Unvermittelt nahm sie die Hand von der Wiege und erhob sich von ihrem Schemel. Im schwachen Schein der Öllampe wirkte ihr Gesicht noch kantiger als für gewöhnlich. »Ich werde mich gleich morgen früh an Pfarrer Bugenhagen wenden, um eine ehrbare Pflegschaft für das Kind zu finden.«
    An der Tür drehte sie sich noch einmal nach Philippa um, die den verlassenen Platz an der Wiege eingenommen hatte und musterte ihre Nichte abschätzend. »Ich hätte dich bitten sollen, mir außer der Lepper noch einige Hechte für das morgige Gastmahl vom Freihof mitzubringen.«
    ***
    Maria Lepper verwünschte die klappernden Geräusche, die ihre Holzpantinen auf dem Steinboden hinterließen. Die hohen Wände des Flures verteilten die Laute wie einen Alarmruf über das ganze Treppenhaus. Sie verharrte regungslos. Mit heftig pochendem Herzen lauschte sie, ob sich zu dem Geräusch ihrer eigenen Schritte weitere gesellten. Aber da war nichts. Sie war allein auf der Treppe. Eilig stolperte sie den sich in die Tiefe windenden Schlund hinab. Mit der Zeit verdrängte ihre mühsam zurückgehaltene Wut die Furcht vor der einsamen Stille des Schwarzen Klosters. Es war ungerecht von der Lutherin gewesen, sie wie ein kleines Kind zu tadeln.
    Ihre Hand suchte tastend nach dem Geländer. Die verfluchte Wendeltreppe war überaus steil. Ganz schwindlig konnte einem werden, auch wenn man die Tiefe nur erahnte.
    Marias Gedanken wanderten zu den Luthers oben in der Wohnstube zurück. Der stolzen Frau Katharina war es zu gönnen, daß sie nun mit einem Bankert dasaß, den keiner wollte. Sie wunderte sich auch nicht, daß die Hebamme ihr und dem gestrengen Herrn Doktor durch die Lappen gegangen war; von der Frau, die das Kind in Barles Hütte geboren hatte, ganz zu schweigen. Die junge Philippa von Bora hatte sie nicht erkennen können, also würde das schamlose Weib in wenigen Tagen wieder unter dem Schleier der Ehrbarkeit über den Kirchplatz spazieren. Es sei denn …
    Marias Augenlider flatterten vor Aufregung. Was sie vorhatte, war eine Sünde, die auf direktem Wege zur Hölle führte. Aber gab es für sie eine andere Wahl? Die Frau vom Pulverturm war ebenso wohlhabend wie raffgierig und hatte schließlich selber genug Schuld auf ihre Seele geladen. Ein paar Gulden mochte ihr Marias Schweigen wohl wert sein. Mit dem Geld in der Tasche und dem Unterricht der Luthernichte würde sie es schaffen, so bald wie möglich in der Ferne ein neues Leben zu beginnen.
    Vorausgesetzt, er ließ von ihr ab und verschonte sie noch einmal.
    Maria erreichte den Absatz der Treppe, der in düsterer Stille vor ihr lag. Langsam tastete sie sich vorwärts. Am anderen Ende des Ganges mußten die Gesindestuben liegen. Erleichtert atmete Maria auf, als Gesprächsfetzen und gedämpftes Gelächter an ihr Ohr drangen.
    Die schwere

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