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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Hand glitt völlig unvermittelt aus der Finsternis heran. Die Magd sah sie erst, als sie sich grob über ihren Mund legte. Vor Schreck vergaß sie zu schreien. Sie konnte sich nicht einmal wehren. Panisch mit den Armen rudernd ließ sie sich rücklings bis unter den Treppenabsatz zerren. Dort bemerkte sie, wer sich so heftig auf sie gestürzt hatte. Das, was sie seit Wochen gefürchtet hatte, war eingetreten. Er hatte sie gefunden.
    »Du bist aus der Stube des Doktors gekommen. Hast du es ihnen gesagt?« zischte der Mann ihr ins Ohr. Marias Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie wollte antworten, aber brachte nicht mehr als ein kraftloses Kopfschütteln zustande. Ihr Angreifer zog sie mit einem Ruck auf die Beine und drängte sie wie eine Jagdbeute gegen die Wand.
    »Hör mir zu, Maria!« Langsam, beinahe bedächtig ließ der Mann seine Finger über die Brust des Mädchens wandern. »Es lag nicht in meiner Absicht dich wiederzusehen, schon gar nicht an diesem verfluchten Ort! Wie töricht von dir zu glauben, ich würde dich nicht wiedererkennen!« Unvermittelt nahm er seine Hand von Marias Mund und näherte sich ihm mit seinen Lippen. Marias Augen verengten sich angewidert, aber sie wich ihm nicht aus.
    »Warum … bist du nach Wittenberg gekommen? Kannst du denn niemals Frieden finden?«
    Er lachte höhnisch. »Die Gründe dürften dir wohl bekannt sein. Schließlich warten wir schon seit fast drei Jahren auf den Tag der Vergeltung. Nun aber steht seiner Vollendung nichts mehr im Wege, du wirst sehen!«
    »Nein, Herr … ich will das nicht! Ich habe die Vergangenheit begraben und …«
    Mit einer brüsken Bewegung brachte er sie zum Schweigen. Ein plötzlicher Schmerz raste wie ein gleißender Blitz durch ihren Körper. Doch es war kein Blitz, sondern ein scharfes, skalpellartiges Messer, dessen Schneide sich in ihre Hand grub.
    »Du hast unserem Meister die Treue geschworen und mir ebenso«, sagte der Mann leise. »Ich werde dich im Auge behalten und solltest du auch nur daran denken, meine Pläne zu durchkreuzen, wirst du meine Klinge viel gefährlicher zu spüren bekommen. Hast du mich verstanden, Maria?«
    Sie schloß die Augen. Keinen Schmerz zeigen, war ihr einziger Gedanke. Sie durfte ihn ihre Angst und ihren Schmerz nicht wissen lassen, sonst war sie verloren. Sein Herr mochte für tot gelten, doch der Arm seiner Rache reichte weit.
    »Und jetzt nimm dies hier an dich! Versteck es gut!«
    Er griff in das Futter seiner dunklen Schaube, holte ein zusammengerolltes Pergament hervor und steckte es Maria mit einer Geste der Verachtung unter ihr Kleid.
    »Du wirst dieses Pergament ans Hauptportal heften, wo es beim Eintreten von jedermann gesehen werden kann. Das wird dem verfluchten Lügendoktor und seiner Mönchshure zu verstehen geben, daß wir sie und ihren armseligen Waffenbund keineswegs vergessen haben!«
    Im nächsten Augenblick ließ er von ihr ab und verschwand in der Finsternis des Treppenaufgangs.
    Maria starrte in die Dunkelheit. Die Wunde an ihrer Hand blutete heftig, aber sie empfand nichts, keinen Schmerz, lediglich das groteske Gefühl, leicht wie eine Rabenfeder zu sein und jeden Moment durch die Luft getragen zu werden. Doch selbst diese Empfindungen wurden bald schwächer, und als die Schritte ihres Peinigers auf den Steinplatten verklungen waren, spürte sie nur noch den einsamen Schlag ihres Herzens.
    Irgendwann plagte sie sich auf, riß ein Stück Stoff aus ihrem Unterkleid und schlang es sich um die klaffende Wunde. Sie schlüpfte in ihre Holzpantinen, die sie bei dem Gerangel verloren hatte, und erst als sie das Gefühl verspürte, wieder auf sicheren Füßen zu stehen, tastete sie auch nach dem Pergament, das er ihr zugeschoben hatte.
    Mit zitternden Knien schleppte sie sich zu einem der spitzen gotischen Fenster, durch dessen buntes Bleiglas ein wenig Licht auf den kargen Gang fiel, und überflog hastig die wenigen Zeilen. Während sie las, überkam sie auf einmal der unbändige Drang zu tanzen. Es war absurd, aber sie sehnte sich danach, in einem taubenblauen Gewand mit erhobenen Händen und im Takt der Flöten, Leiern und Trommeln über einen Platz zu tanzen, wie sie es vor langer Zeit so oft an seiner Hand getan hatte.
    ***
    Über der Wittenberger Mädchenschule, einer geräumigen Stube mit Kachelofen und Holztäfelung, die Luther und Melanchthon für Philippas Unterricht vorgesehen hatten, lag der stickige Geruch von Schiefer, Kreidestaub und vergilbtem Papier. Philippa mochte

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