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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Geheimnis gemacht. Aus ihrem Leben und ebenso aus ihrem Tod. Ich kann dir nicht mehr sagen, als daß ich jeden Abend für Francescas unsterbliche Seele bete, mein Kind. Was mehr bleibt einer alten Frau, die nur noch vom Gnadenbrot ihrer Verwandtschaft lebt?«
    ***
    Philippa ging zu einem der drei Fenster, durch die ein wenig Licht in die düstere Schulstube fiel. Sie hatte das Gefühl, dringend frische Luft zu brauchen. Weit lehnte sie sich aus dem Fenster und beobachtete eine Schwalbe, die mit ausgebreiteten Schwingen über die Mauern und Türme der Klosteranlage zum Fluß hinübersegelte. Plötzlich traf sie eine Entscheidung. Ja, sie würde eine Magistra werden und unterrichten – selbst nach Melanchthons Schulordnung, wenn es unbedingt sein mußte. Aber niemand konnte sie daran hindern, das Versprechen zu halten, das sie Maria Lepper gegeben hatte. Wer auch immer von ihren Schülerinnen den Wunsch verspürte, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen als nur mit Fibel, Gesangbuch und Katechismus, sollte die Gelegenheit dazu erhalten.
    Schräg unter ihrem Fenster, wo der ehemalige Kreuzgang mit seinen verzierten Säulenreihen begann, balancierte ein Bauknecht mit langen strähnigen Haaren auf einer Leiter und befestigte eine Papiergirlande an einem hervorspringenden Eisenhaken. Auf der anderen Seite des Hofes waren einige Männer mit der gleichen Tätigkeit beschäftigt, während ein dritter sie dabei beaufsichtigte. Es war Valentin Schuhbrügg, ein Knecht aus dem Geschlecht eines Nachrichters, den kein Zunftmeister in der Stadt hatte aufnehmen wollen und der sich seitdem mit Gelegenheitsarbeiten auf dem Hof der Luthers über Wasser hielt. Gewiß hatte Katharina die Anweisung erteilt, die häßlichen Baugerüste mit bunten, im Winde flatternden Papierschleifen zu schmücken, überlegte Philippa und winkte Schuhbrügg zu, der schüchtern in ihre Richtung schaute.
    Ein Fuhrwerk schwankte durch den Torbogen auf den Hof. Es hatte ein gewaltiges Weinfaß geladen und hielt auf die Wirtschaftsgebäude zu. Mit lauter Stimme forderte der Wagenlenker die Männer auf dem Gerüst auf, ihm beim Abladen des Fasses zu helfen; er erntete jedoch nur spöttisches Gelächter. Philippa wollte schon das Fenster schließen, als ihr Blick auf zwei bekannte Gesichter fiel. Vor dem Brauhaus, aus dessen Kamin seit den frühen Morgenstunden dünner Rauch aufstieg, standen Maria und der Prediger. Es sah so aus, als seien die beiden in eine hitzige Unterredung vertieft, denn weder Felix Bernardi noch das rothaarige Mädchen kümmerten sich um die neugierigen Blicke der Gänsemagd, die mit einem Stecken bewaffnet ihre schnatternde Schar dicht an den beiden vorüber dirigierte.
    Philippa legte die Stirn in Falten und verwünschte das nervtötende Geschnatter des Viehs, das sämtliche menschlichen Stimmen übertönte. Die Spannung zwischen Bernardi und Maria Lepper war jedoch bis zu ihr hinauf zu spüren. Sie beobachtete, wie die Magd heftig mit dem Kopf schüttelte und mehrmals auf das verloren dastehende Fuhrwerk mit dem Weinfaß deutete, während Bernardi offensichtlich nach Leibeskräften bemüht war, das Mädchen zu beschwichtigen. Philippa bemerkte irritiert, daß Marias rechte Hand verbunden war.
    Wenige Augenblicke später war der Spuk auch schon vorüber; das Fuhrwerk mit dem Weinfaß setzte sich wieder in Bewegung und entzog das aufgebrachte Paar Philippas Blicken. Valentin Schuhbrügg lenkte seine Schritte ohne jede Eile auf das Tor zu, um den Bolzen wieder einzuschlagen.
    Philippa verließ ihre neue Schulstube über die kleine Galerie, welche die offiziellen Räume mit den Wohnstuben verband, und stieg nachdenklich die Wendeltreppe hinunter. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut und sehnte sich nach einem Menschen, mit dem sie über ihre Beobachtungen in diesem merkwürdigen Haus sprechen konnte. Sollte sie bei der Muhme anklopfen? Die alte Siechenmeisterin verfügte über einen reichen Schatz an Erfahrungen, außerdem schien sie ihre junge Großnichte gern zu haben. Doch was würde sie von ihr denken, wenn sie kam, um Klatsch über eine Hausmagd und einen Mann zu verbreiten, der Philippa doch völlig gleichgültig sein konnte, weil … Nein, die Muhme würde zweifellos das gleiche von ihr denken wie Roswitha: daß sie sich in den Prediger verliebt hatte, weil er mit seinen schwarzen Augen, seiner bronzenen Haut und seinen Kenntnissen über alte Sprachen einer Welt entsprungen schien, von der Philippa Nacht für Nacht

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