Die Magistra
Tisch gelegt hatte?
»Was soll diese Bemerkung bedeuten?« fragte Lupian. »Doktor Luther hat in den vergangenen Jahren etliche Konvertiten unterstützt, aber ich bin davon überzeugt, daß weder er noch Herr Melanchthon über Magister Bernardis Herkunft im Bilde waren.«
»Möglich, Schreiber. Allerdings glaube ich, daß hier ein Mann vor uns steht, der alles tun würde, um seinen Vater aus der spanischen Kerkerhaft zu befreien. Sagt selbst, was geschähe, wenn Doktor Luther und Melanchthon noch vor dem Konzil sterben würden? Etwa durch einen Giftanschlag? Wäre das nicht ein grandioser Sieg für das Lager des Kaisers und gleichsam das Ende unseres mühsam erkämpften Waffenbündnisses?«
Katharina erbleichte. Ungläubig starrte sie in die Flamme der großen Lampe und rief sich das von Schmerzen entstellte Gesicht ihres Mannes in Erinnerung, die Krämpfe, die ihn seit Wochen schon plagten und die ungesunde Farbe seiner Haut. Dann fiel ihr auch noch das Pamphlet ein, das an der Eingangstür ihres Hauses befestigt worden war: die Reichsacht – eine deutliche Todesdrohung.
»Glaubt mir, Frau Katharina, ich habe den Doktor immer verehrt«, beteuerte Bernardi leise. »Auch wenn nicht alles, was er sagt und denkt, meine Billigung findet, würde ich niemals einen Anschlag auf sein Leben führen. Und mit dem Tod der Lepperin habe ich schon gar nichts zu tun. Herr Melanchthon wird bezeugen, daß ich seine Scholarenstube während der Sturmnacht kein einziges Mal verlassen habe, weil …«
»Schweigt, Bernardi«, fiel der Stadthauptmann ihm ins Wort. »Wir haben genug gehört!« Barsch wies er einen seiner Waffenknechte an, den verdächtigen Magister in die Kellergewölbe des Rathauses, den sogenannten Caspar, zu schaffen und dort in Ketten zu legen.
Die Ratsherren schwiegen betreten. Um so überraschter war Philippa, als ihre Tante den Offizier plötzlich am Arm zurückhielt. »Euer Gefangener ist als Bibliothekar Angehöriger der Wittenberger Universität. Folglich untersteht er, solange über Schuld oder Unschuld nicht entschieden ist, deren Gerichtsbarkeit und nicht der Euren. Habe ich nicht recht, Rektor?«
Katharina wartete die Bestätigung des alten Mannes nicht ab, sondern verfügte mit fester Stimme, den Magister bis zur Rückkehr Melanchthons aus Schmalkalden in einem Raum des Schwarzen Klosters unter Hausarrest zu stellen. Der Stadthauptmann protestierte zwar wütend, doch nach einigem Hin und Her mußte er sich geschlagen geben und trat den Rückzug an. Auch der Eidgraf entfernte sich, nicht ohne Philippa und ihrer Tante einen düsteren Blick zuzuwerfen. Diese Niederlage würde er nicht einfach so auf sich beruhen lassen.
»Frau Katharina«, hob Bernardi nach einigen Momenten des Schweigens dankbar an. Er wurde jedoch von der Lutherin so jäh unterbrochen, daß er erschrocken zusammenzuckte. »Ich habe Euch geholfen, weil ich nicht glaube, was der Eidgraf behauptet. Aber ich werde Euch niemals verzeihen, daß Ihr mir und dem Doktor Eure Herkunft verschwiegen habt. Tretet mir besser nicht mehr unter die Augen!«
***
Philippa fand Wolfger von Hoechterstedt im Hof, als er Anstalten machte, sich auf den Sattel seines Pferdes zu schwingen. Ohne zu zögern, riß sie dem verdutzten Stallknecht die Zügel des edlen Tieres aus der Hand.
»Seid Ihr verrückt geworden?« schrie der Eidgraf sie an. Er hatte Mühe, auf seinem Pferd die Balance zu halten. »Gebt mir sofort die Zügel, oder Ihr werdet es bereuen!«
»So wie Bernardi es nun bereut, Euch in die Quere gekommen zu sein? Woher wußtet Ihr über seinen Vater Bescheid?« Verächtlich warf sie ihm die Zügel zu.
Wolfger fing sie mit einer Hand auf. Augenblicklich gewann er seine stolze Haltung zurück. »Ihr kennt mein Geschäft, werte Philippa«, erklärte er herablassend. »Nachrichten, Verträge, Gerüchte … Erinnert Ihr Euch? Und nun bringt gefälligst Eure seltsame Gehilfin unter die Erde, damit Ihr ins Schloß zurückkehren könnt!«
Ärgerlich machte Philippa einen Schritt zur Seite, um nicht von dem Rappen des Stadthauptmanns, der in wildem Galopp auf das Tor zuhielt, zu Boden gerissen zu werden. Der Offizier war ein richtiger Flegel, fand sie, doch wenigstens fühlte sie sich im Hof ihrer Verwandten, wo jeder sie sehen konnte, Wolfgers Annäherungsversuchen nicht so hilflos ausgeliefert wie in den unheimlichen Räumen der kurfürstlichen Residenz.
»Meine Tante fürchtet Eure Drohungen nicht, Eidgraf«, sagte sie betont ruhig. »Die
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