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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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nehmen, einen ähnlich hohen Preis in Kauf nehmen? Ihre Seele für einen kurzen Augenblick des Triumphs in Gefahr bringen?
    Nachdem der Bote aus Schmalkalden das Haus verlassen und Katharina sich in ihre eigenen Gemächer zurückgezogen hatte, beschloß Philippa, die Abwesenheit des Eidgrafen zu nutzen und sich selbst auf die Suche nach Spuren des Verbrechens zu begeben.
    Was Felix Bernardi anging, so fühlte sie seit einigen Tagen, sobald sie an ihn dachte, einen feinen Stich tief in ihrem Herzen. Dieses Gefühl ängstigte sie mehr als ihre Selbstzweifel oder die frechen Anzüglichkeiten des Eidgrafen, denn sie war nicht in der Lage, es zu deuten. Es schien auf der Hand zu liegen, daß Bernardi das Vertrauen ihrer Verwandten mißbraucht hatte, doch war bis zu dieser Stunde irgend jemanden im Hause auch nur in den Sinn gekommen, den Magister nach den Gründen für seine Heimlichkeiten zu fragen?
    ***
    »Wenn ich geahnt hätte, daß Ihr mich im Morgengrauen vor die Tore lockt, wäre ich niemals mitgekommen, Philippa!«
    Mißmutig trieb Roswitha einen dünnen Holzstab in die Erde des Feldes. Während der Nacht hatte sich eine dünne Eisschicht über dem Lehmboden gebildet.
    Die Amme hatte geglaubt, Philippa zu Cranachs Apotheke zu begleiten, um einige Arzneien für die erkrankte Muhme Lene zu bestellen. Doch dann hatte ihr Ziehkind völlig unerwartet den Weg Richtung Stadtmauer eingeschlagen. Die beiden Torwächter hatten einen verschlafenen Eindruck gemacht und gar nicht erst gefragt, was die beiden Frauen kurz nach Sonnenaufgang schon jenseits der Stadtmauern zu suchen hatten.
    Fragend beobachtete die Amme, wie Philippa gemessenen Schrittes die halb verfallene Kreuzkapelle umrundete. Ein eisiger Wind wehte über die einsamen, nebelverhangenen Felder. Roswitha fror, daß ihr die Knochen weh taten, und wünschte sich auf ihre Bank in der Küche des Schwarzen Klosters zurück. Ja, sogar die Krankenstube der Muhme erschien ihr in dieser Stunde um etliches einladender als diese Einöde, in der vor nicht allzu langer Zeit ein Mensch sein Leben ausgehaucht hatte.
    »In wenigstens einem Punkt hat der Stadthauptmann die Unwahrheit gesagt«, erklärte Philippa plötzlich und machte einen großen Schritt über eine Wasserlache hinweg. Sie trug einen langen Rock aus grober, roter Schurwolle und über der Leinenbluse ein zu weites Wams aus gefüttertem, gelbem Taft.
    »Tatsächlich?« fragte Roswitha nur scheinbar interessiert. »Sagt bloß, Ihr habt schon etwas gefunden?«
    »Nein, aber darauf will ich ja hinaus. Der Hauptmann hat von einem Kampf zwischen Bernardi und Maria Lepper gesprochen, hier sind jedoch nirgendwo Spuren eines Kampfes zu sehen. Das Gras ist nicht zertreten, und die einzigen Fußspuren, die der Regen nicht verwischt hat, stammen von den Männern, die Maria auffanden und fortschafften.«
    »Aber sie kann doch nicht hierher geschwebt sein, ohne den Boden zu berühren?« murmelte die Amme und riß plötzlich die Augen auf. »Oder etwa doch?«
    Philippa ließ die Amme stehen und lief noch einmal zur Kapelle hinüber. Irgendwann einmal hatte das kleine Gotteshaus bunte Fensterscheiben und eine Tür besessen, doch von beidem war nicht mehr viel erhalten. Der Wind rüttelte am Gebälk des verfallenen Gebäudes und trieb Sand und Strauchwerk in sein Inneres. An der Schwelle blieb Philippa stehen und bückte sich. Ein Boden mit Fußabdrücken ist wie ein beschriebenes Stück Pergament, dachte sie. Wir müssen nur fähig sein, die Schrift zu entziffern.
    »Hier hat Maria gestanden, direkt vor der Kapelle!« Sie ging in die Knie und zog mit dem Finger einen Kreis um den größten Abdruck. Roswitha trat von hinten an sie heran und spähte ihr zweifelnd über die Schulter.
    »Auf dem Kornfeld hätte man sie von der Brustwehr der Mauer aus sehen müssen, doch sie ist keinem der Türmer aufgefallen. Auch nicht, als sie die Stadt verließ. Ich vermute, sie hat auf dem Freihof übernachtet, um keine Schwierigkeiten am Tor zu bekommen!«
    »Zumindest scheint es so«, gab Roswitha widerstrebend zu.
    »Maria muß ihren Mörder erwartet haben, denn sie wandte dem Eingang ihren Rücken zu. Siehst du die Spur? Diesen Fehler bezahlte sie mit ihrem Leben, denn der Mann, mit dem sie sich treffen wollte, war bereits vor ihr angekommen und überraschte sie aus dem Hinterhalt.«
    Roswitha zog fröstelnd ihr Wolltuch über der Brust zusammen. Mißtrauisch starrte sie auf das gähnende schwarze Loch in der Kapellenwand, als befürchtete

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