Die Magistra
sie, der Mörder könnte sich noch immer dahinter verstecken. Schließlich räusperte sie sich: »Wahrscheinlich war es so, wie Ihr sagt, mein Kind. Die Magd wurde nicht auf dem Feld, sondern vor dem Gotteshaus getötet. Ein Sakrileg, vor dem jeder wahre Christenmensch erschaudern müßte! Aber wie soll das unserem Prediger weiterhelfen? Ich meine, er könnte es doch trotzdem gewesen sein, der sich im Morgengrauen hier mit der Magd verabredete. Und wenn es wahr ist, was sie in der Stadt sagen, daß er ein verrückter Mystiker ist, der vom Kaiser dafür bezahlt wird, Euren Onkel mit Gift aus dem Weg zu räumen, so hat die Lepperin vielleicht von seinen Plänen Wind bekommen, und er mußte sie zum Schweigen bringen, ehe sie ihn verraten konnte. Doch warum hatte er sein Opfer nicht in die Elbe geworfen, um es zu beseitigen? Warum ließ er die Leiche bei der verlassenen Kreuzkapelle liegen? Er hätte doch damit rechnen müssen, daß der Wagenzug des Kurfürsten die Lepperin jenseits der Mauern entdeckte.«
Philippas Stirn umwölkte sich; ihre Amme sprach genau das aus, was die Stadtväter und selbst Katharina für bare Münze nahmen. Folgte man deren Theorie, so ergab selbst das unheimliche Pamphlet an der Klostertür einen gewissen Sinn. Allerdings war Philippa davon überzeugt, daß Maria es gewesen war, die das Pergament angenagelt hatte. Die blutverschmierten Abdrücke auf dem Papier deuteten nicht auf die groben Hände eines Mannes hin. Außerdem hatte der Lärm jener Nacht fast alle Bewohner des Westflügels, einschließlich der Gesindestuben, in den Hof gelockt. Allein die Lepperin hatte sich nicht blicken lassen.
In Philippa wuchs das beklemmende Gefühl, daß Marias Mörder mit ihr und sämtlichen Bewohnern des Schwarzen Klosters ein teuflisches Spiel spielte. Es gab nur eine Möglichkeit, der mörderischen Fährte zu folgen. Philippa mußte mehr über Maria Leppers Vergangenheit in Erfahrung bringen und beten, daß ihr dies gelang, ehe ihr Onkel und der Kurfürst aus Schmalkalden zurückkehrten, um Bernardi den Prozeß zu machen.
»Was habt Ihr nun vor?« fragte Roswitha.
Philippa schaute nachdenklich über die Felder. »Wir sollten zum Rathaus gehen und dem Stadtschreiber einen Besuch abstatten!«
»Dem Stadtschreiber? Wie um alles in der Welt soll der Euch weiterhelfen können? Glaubt Ihr etwa, der Mörder habe seine Tat zu Protokoll gegeben?«
»Wer weiß das schon«, antwortete Philippa freundlich.
***
Das prächtige Rathaus von Wittenberg lag fast ebenso in Nebel getaucht wie die Felder vor den Toren der Stadt. Auf dem Weg über den Marktplatz begegneten Philippa und Roswitha nur wenige Menschen. Ein Bauer trieb mit seinem Knecht ein paar Kühe vom nahen Viehmarkt in Richtung Stadttor. Der plötzliche Kälteeinbruch hielt jeden, der nicht unbedingt auf die Straße mußte, in seinen eigenen vier Wänden. Ein schlechter Tag, um Handel zu treiben.
Der Stadtschreiber war ein großer, kräftiger Mann mit entschlossenen Gesichtszügen. Er empfing Philippa mit sichtlichem Unbehagen. »Was kann ich für Euch tun, Jungfer?« Nervös kramte er in einem Stapel Blätter. Eine mit Nägeln an die Wand geheftete Pergamentrolle über seinem Kopf trug in roter Farbe den passenden Schriftzug carpe diem . Nutze den Tag.
»Die ermordete Maria Lepper stand als Gehilfin der Mädchenschule in meinen Diensten«, antwortete Philippa mit höflicher Distanz. »Ich habe einige Gegenstände aus ihrem Nachlaß in Verwahrung genommen. Selbstverständlich müssen diese nun ihren Hinterbliebenen zugeführt werden.«
»Um was für … Gegenstände handelt es sich?« Der Schreiber atmete geräuschvoll aus. »Es geht das Gerücht um, die Lepperin habe zusammen mit der Alten aus der Kupfergasse Teufelsanbetung und Schwarze Magie betrieben. Ich hoffe also, ihre Gegenstände …«
»Wo denkt Ihr hin?« Philippa schnitt dem Mann in gespielter Empörung das Wort ab. »Ich habe meiner Gehilfin einige Lehrbücher geschenkt. Außerdem sind da noch zwei, drei Briefe, die ich ihrer Familie schicken möchte. Da meine Tante sich jedoch nicht an den Namen des Ortes erinnert, aus dem Maria stammte, möchte ich Euch bitten, in den Registern nachzuschlagen. Ich nehme an, die Ankunft der Lepperin in Wittenberg wurde ordnungsgemäß vermerkt?«
Der Stadtschreiber warf Philippa einen wütenden Blick zu. Ordnungsgemäß vermerkt! In seiner Stadt ließ sich kein Mensch, ob Patrizier oder Dienstmagd, nieder, ohne in die entsprechenden Steuerlisten
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