Die Malerin von Fontainebleau
im Auge sind, genau wie die Protestanten, aber die haben schon starke Gemeinden in den deutschen Landen gebildet. Wir sind in Frankreich. Und ich habe eine ziemlich gruselige Geschichte über eine Sekte gehört, die es hier vor Hunderten von Jahren gegeben hat. Die Katharer.«
Der Putz ließ sich leicht verschmieren, und der wohlvertraute Geruch von nassem Mörtel beruhigte sie. »Katharer?«, fragte sie erstaunt.
»Ja genau. Schsch!« Matteo beugte sich über das Gerüst und horchte in den Durchgang zur Galerie. »Diese neugierigen Diener tratschen alles herum, und schon kommt man in Verdacht! Also, wo war ich stehengeblieben, ja, ich habe viel Zeit in der netten Bibliothek da oben verbracht und bin
auf diese Geschichte gestoßen. Es ging schon einmal sehr blutig zu in Südfrankreich. Im Languedoc, damals Okzitanien genannt, gab es reiche und einflussreiche Familien, die kirchlich eigenständig waren und ein Gegengewicht zu den ständig mächtiger werdenden Kapetingern der Île-de-France und ihrem Königtum bildeten. Um es kurz zu machen, die Kapetinger machten gemeinsame Sache mit den Päpsten und warfen gierige Blicke gen Süden. Sie nannten die Gegner im Süden Cathari und erklärten sie als Feinde der römischen Kirche zu Ketzern. Jene Menschen selbst nannten sich boni homines und praktizierten eine dualistische Religion.« Matteo hob einen Finger. »Entscheidend war, dass die Kirche sich damals einen Rechtstitel gesichert hat, nämlich Krieg gegen Ketzer führen zu dürfen. Zusammen mit dem nordfranzösischen Königtum erzwangen die Zisterzienser und vor allem die Dominikaner die Unterwerfung des Südens.«
»Matteo, das ist ja alles recht interessant, aber warum erzählst du mir das?« Sorgfältig strich sie die Oberfläche des Feinputzes glatt.
»Weil du ein netter Mensch, aber viel zu naiv bist. Dieser Hof ist eine Schlangengrube, und Seine Majestät kommt in die Jahre. Seine Macht und die Stellung des Königshauses zu sichern ist sein ganzes Bestreben. Die königliche Liebe zur Kunst ist Blendwerk.«
»Ach ja?« Sie drehte sich um und machte eine ausgreifende Handbewegung. »Alles unwichtig?«
»Wenn der Lilienthron in Gefahr wäre, ja.«
»Na schön, worauf willst du also hinaus?«
»Darauf, dass diese Katharer auch nicht viel anders waren als die Vaudois. Sie haben sich Gedanken über die römische Kirche gemacht, lehnten die klerikale Hierarchie ab und führten eigene Rituale ein: haeretecari, endura, consolamentum
und apparellamentum . Indem sie selbst tauften und die Sterbenden weihten, reduzierten sie den kirchlichen Einfluss, und es fielen Einnahmen fort, die sonst an die Kirche gegangen wären. Am schwersten jedoch wog, dass sie Gnostiker waren, weil das bedeutete, dass sie ohne Priester oder Kirche in direkten Kontakt mit Gott treten und geheimes Wissen erlangen konnten.«
Unweigerlich kam Luisa die Resolution von Chanforan in den Sinn, die sie bei Armido gefunden hatte. Jetzt tat es ihr leid, dass sie sich nie mit ihrem Bruder über den neuen Glauben unterhalten hatte. Matteo hatte recht, auch die Vaudois lebten nach eigenen Regeln und lehnten die Autorität der Kirche ab.
»Jedenfalls inszenierten Papst und König vor dreihundert Jahren eine perfide Intrige gegen die Katharer, insbesondere gegen einen Grafen von Toulouse. In deren Verlauf wurde der Graf enteignet und zutiefst gedemütigt. In der Folge begann die Inquisition richtig zu wüten – mehr als dreißigtausend Männer, Frauen und Kinder wurden innerhalb von fünfunddreißig Jahren im Languedoc hingeschlachtet. Es heißt, dass das Blut knöcheltief durch die Kirchen floss, in denen sich die Flüchtlinge versteckt hatten. Die päpstlichen Soldaten sollen sich irgendwann beklagt haben, dass sie nicht mehr wussten, wen sie da überhaupt töteten. Waren es nun Häretiker oder Christen?«
Den Hobel in der Hand, starrte sie Matteo mit offenem Mund an. Zufrieden mit ihrer Reaktion ging er zur Leiter.
»Jetzt weißt du, was geschehen kann, wenn man den Mächtigen ins Handwerk pfuscht. Die Protestanten haben etwas ins Rollen gebracht, gewiss, aber glaub ja nicht, dass die Kirche einfach zuschaut. Und der König ist auf päpstliche Unterstützung angewiesen. Sonst wäre er wohl kaum zu den Verhandlungen nach Nizza gereist, oder?«
»Ich dachte, die Plakataffäre vor ein paar Jahren wäre eine Ausnahme gewesen«, murmelte Luisa.
»Das war der Anfang einer neuen Linie in der französischen Politik.« Matteo setzte einen Fuß auf die
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