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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wsewolod Petrow
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ganze Waggon es hören konnte. Alle verstanden, daß Sie und ich zusammen auf einem Foto waren. Ich verteidigte Sie, so gut ich konnte, ruhig und ungerührt. Aber wie war mir dabei zumute! Gott! Kein Tag vergeht, ohne daß etwas Trauriges geschieht. Mit jedem Tag hasse ich mich mehr. Mir ist so mulmig, so schwer zumute. Ich glaube, Sie werden zornig sein. Ich kann nicht länger schreiben. Vera.«
    Ich konnte ihr nicht sofort antworten, weil der Zug losgefahren war und es peinlich gewesen wäre, mit ihr vor aller Augen zu tuscheln.
    »Was ist denn in meiner Abwesenheit im Waggon passiert?« fragte ich leise Nina Aleksejewna.
    Sie sah mich sehr erbost an.
    »Neue Kapriolen Ihrer Manon Lescaut«, sagte sie, »Ihnen zuliebe stehe ich ihr zur Seite, aber im Grunde sind weder Sie noch Vera es überhaupt wert. Soll man doch über Sie lachen, was geht mich das an!«
    »Was ist denn bloß passiert?«
    »Sie haben ihr ein Foto geschenkt? Das sieht Ihnen so ähnlich. Sie werben nach allen Regeln der Datscha-Romanzen um sie«, sagte Nina Aleksejewna.
    Ich errötete.
    »Also, ich habe es ihr nicht direkt geschenkt ...« sagte ich.
    »Als Sie gegangen waren, rief Vera Lariska zu sich und zeigte ihr verschiedene Bildchen und brachte ihr bei, auf jedem Bild die Bekannten zu erkennen. Auch mich fanden sie da irgendwo, in Gestalt irgendeiner Dame mit Regenschirm. Und dann kam Ihr Foto an die Reihe. Lariska erkannte Sie natürlich sofort und schrie begeistert auf. Alle wollten es sich ansehen, aber Vera beeilte sich, es zu verstecken, sie riß es jemandem geradezu aus den Händen. Da wurde unmißverständlich klar, daß das wirklich Ihr Foto war. Vera tut das mit Absicht; nach dem Abenteuer mit Rosaj braucht sie ein Mittel, um sich zu behaupten«, sagte Nina Aleksejewna.
    »Meiner Meinung nach ist das nur irgendwie naiv«, sagte ich.
    »Ach ja, das ist wirklich nett. Sie erforschen das achtzehnte Jahrhundert. Aber Sie wissen nicht, was für ein Affengeschrei im Waggon aufkam und wie mühsam es für mich war, dem ein Ende zu bereiten«, sagte Nina Aleksejewna fast schon unter Tränen.
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte ich.
    »Sie sind mir kein bißchen dankbar. Und Sie erkennen nicht, wie sehr Sie diese Rivalität zu Rosaj erniedrigt«, antwortete Nina Aleksejewna.
    »Also, teure Freundin, Sie sehen irgendwelche Dramen, wo es keine gibt. Und dabei will ich gar nicht erst verstehen, von was für einer Rivalität Sie sprechen«, sagte ich unaufrichtig und wandte mich zum Ofen, weil Vera dort war. Der Zug pfiff, während er sich einem Bahnhof näherte.
    »Verotschka, das ist alles albernes Zeug, haben Sie sich etwa wirklich wegen solchen Unsinns Sorgen gemacht?« schrie ich Vera ins Ohr.
    Als der Zug hielt, stieg ich aus, und Vera sprang direkt hinter mir aus dem Waggon. Ich sagte ihr, der heutige Tag sei ein glücklicher für mich und es werde ihr deswegen – aber nur für diesen einen Tag – alles verziehen. Zum Beweis küßte ich sie diskret auf die Wange.
    »Ich weiß, warum Sie glücklich sind. Sie lieben mich nicht mehr«, sagte Vera.
    »Sprechen wir nicht über dieses Thema«, sagte ich.
    »Sie wollen mich nicht küssen«, sagte Vera.
    »Doch, wieso denn nicht?« sagte ich und küßte erneut leicht ihre Wange.
    »Sie geben irgendwie komische Küsse, von denen man sterben kann«, sagte Vera.
    Doch ich war so glücklich und liebte diese treulose, teure Vera so sehr, daß ich ihren Tod unter keinen Umständen zulassen konnte. Allerdings ergriff sie selbst die Initiative und saugte sich an meinen Lippen regelrecht fest.
    Wir schafften es gerade noch rechtzeitig in den Waggon. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Wir fuhren von Bahnhof zu Bahnhof, fuhren auch mal ein Stück zurück, hielten auf Reservegleisen, fuhren dann wieder los und hielten die ganze Nacht nicht mehr. Ich wollte mich nicht auf die Pritsche zurückziehen; ich setzte mich zum Ofen, und Vera blieb bei mir. Der Waggon klirrte und bebte. Wir sprachen mit normaler Lautstärke, weil niemand uns hören konnte.
    »Also lieben Sie mich doch noch«, sagte Vera und nahm meine Hand.
    »Wir zwei reden überhaupt nicht über dieses Thema«, antwortete ich, »der heutige Tag ist schon zu Ende.«
    »Und Sie sind nicht mehr glücklich?« fragte Vera, aber ich antwortete nicht, zog vorsichtig die Hand zurück und fing davon an, was für eine erstaunliche Schauspielerin Vera sein würde.
    »Sie haben schon das Wichtigste, Verotschka, Sie haben eine gewisse natürliche

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