Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wsewolod Petrow
Vom Netzwerk:
geplünderte russische Dorf Kamenka. Dorfhunde, die auf ihren kurzen Beinen Füchsen ähnelten, liefen an die Waggons heran, um auf den Schnee hinausgeworfenen Abfall aufzulesen. Wir steckten auf diesem Betriebsbahnhof so fest, daß eine dicke Schneekruste die Räder der Waggons bedeckte. Die Sonne schien jetzt jeden Tag, als begänne bereits der Frühling; der Schnee auf den Feldern taute und sank. Aus dem Schnee ragten nun trockene Grashalme, Blümchen, diverse Stengel. Vera pflückte sie. Mit diesen Sträußen kamen wir zurück von unseren Spaziergängen.
    Die Metamorphose ereignete sich unauffällig. Für mich begannen erstaunliche Tage. Als wäre ich von mir selbst weggefahren und hätte angefangen, ein namenloses Leben zu leben, ohne Hoffnungen und ohne Erinnerungen, nur durch Liebe. Als wäre alles, was je mit mir geschehen war, nicht mit mir geschehen, als ob ein besonderer, von allem abgetrennter, ja, ich weiß nicht, eben ein besonderer Abschnitt meines Schicksals beginne; und ich wußte selbst nicht, wo ich der echte war – auf den Frühlingsfeldern, in ein kindliches Mädchen verliebt, oder in der stehengebliebenen Zeit, körperlich fast nicht mehr existent, verlernend, die Welt um mich herum zu sehen.
    Vera blieb immer nüchterner als ich. Sie wurde aber auch zärtlicher und vertrauensvoller; sie gewöhnte sich an mich, begann an mir zu hängen. Doch in ihrem Leben hatte es im Gegensatz zu meinem keinen Einschnitt gegeben; alles ging weiter, ohne die Verbindung zur Vergangenheit zu verlieren; und sie konnte darüber sprechen und daran denken, was weiter mit uns passieren würde; ich aber hatte das Träumen verlernt.
    Wir wanderten den ganzen Tag durch und kamen erschöpft zurück, glücklich, und wollten dennoch weiter zusammensein. Vera lief aus dem Waggon, ich folgte ihr, und sie fragte mich:
    »Sie werden nie, nie aufhören, mich zu lieben?«
    Der gute Aslamasjan öffnete und schloß die schwere Tür für uns.
    »Hatten Sie denn schon jemals zuvor eine Romanze?« fragte Nina Aleksejewna giftig. »Sie könnten wenigstens eine Minute warten, sonst sehen alle, daß Sie Vera hinterherlaufen. Sie ist, glaube ich, erfahrener als Sie und kann sich viel besser verstellen.«
    Ich war in der Tat unfähig, etwas zu verbergen, obwohl ich mir doch mehr Sorgen als Vera darum machte, was die Leute denken mochten, oder, besser gesagt, anders Sorgen darum machte. Sie hatte oft das Bedürfnis, vor ihren Freundinnen anzugeben, sich ein weiteres Mal zu »behaupten«, wie Nina Aleksejewna zu sagen pflegte. Für mich war dagegen nur eines wichtig: daß niemand es wagen würde, mir seine Meinung ins Gesicht zu sagen und mich dadurch zu stören. Hinter meinem Rücken konnten sie reden und tun, was sie wollten: Ich sah nichts, niemand existierte für mich – und zwar nicht im übertragenen, sondern im wörtlichsten und genauesten Sinne.
    Das ganze Lästern, das mich nicht treffen konnte, mußte Nina Aleksejewna ertragen.
    »Alle denken, Gott weiß, warum, daß ich an Ihren Angelegenheiten ein persönliches Interesse habe«, sagte mir Nina Aleksejewna. »Und sie bemühen sich, mir die Augen für Ihr Benehmen zu öffnen, sie grinsen ständig und sagen, daß Vera mich mit frechem Blick ansähe. Eigentlich bemerke ich das manchmal selbst. Dabei helfe ich ihr immer aus der Patsche. Und als damals Rosaj hier war und Sie und Vera gegangen waren ... Sie werden nicht glauben, was für eine Diskussion da losging. Alle redeten durcheinander und erzählten ihm von Ihnen und Vera.«
    »Und Rosaj hat auch am Gespräch teilgenommen?«
    »Nein, er schwieg. Er hatte die ganze Zeit ein leidendes Gesicht. Er ähnelt Vera irgendwie. Dann ging er ganz unerwartet. Ich sagte ziemlich streng, daß ich mir keinen Klatsch anhören will. Und stellen Sie sich vor: Als ich auf die Pritsche ging, sagte Galopowa so laut, daß man es im ganzen Waggon hören konnte: ›Dumme Kuh‹. Und alle brachen in ein schallendes Gelächter aus.«
    »Und Sie sagen, daß Rosaj leidet?«
    »Ja, ich glaube, er ist jetzt noch verliebter, Ihretwegen.«
    »Das glaube ich auch«, sagte ich.
    »Sie meinen, daß sich alle in Ihre Vera verlieben müssen. Allerdings stimmt das wohl auch.«
    »Und wie ungestüm sie lebt! Sie ist erst zwanzig, und sie hat bereits eine ganze Lebensgeschichte«, sagte ich.
    »Die ausschließlich aus Romanzen besteht«, sagte Nina Aleksejewna.
    »Ja, das sind doch alles Flausen, die schauspielerische Begabung, der Ruhm und alles andere. Sie selbst

Weitere Kostenlose Bücher