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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wsewolod Petrow
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könnten Sie uns stören?« sagte ich. »Wir gehen einfach spazieren. Ich glaube, dieses Feld ist nicht so freudlos, wie es Ihnen zuerst schien.«
    »Ein kahles, leeres Feld, absolut uninteressant. Schnee und nichts weiter«, antwortete Nina Aleksejewna.
    »Eine richtige Shakespeare-Landschaft, wie aus ›König Lear‹«, sagte ich mit Begeisterung.
    »Was ist ›Manon Lescaut‹?« fragte Vera unerwartet.
    »Eine Frau, die für die Liebe geschaffen ist«, antwortete Nina Aleksejewna.
    »Die Mädchen sagten, daß das die schlimmste Beleidigung für eine Frau ist, ›Manon Lescaut‹«, sagte Vera. »Und daß Sie mich angeblich so nennen«, sagte sie mir leise.
    »Und was ist Ihre Meinung über Manon Lescaut?« fragte Nina Aleksejewna Aslamasjan.
    »Ich weiß nicht«, sagte Aslamasjan.
    »Und ich denke, daß Manon Lescaut die wundervollste, die rührendste aller Heldinnen ist und daß es unmöglich ist, sie nicht zu lieben«, sagte ich enthusiastisch.
    Vertieft in dieses Gespräch, erreichten wir unseren Waggon. Aslamasjan half galant zuerst Nina Aleksejewna, dann Vera hinein. Er und ich standen eine Weile vor der Tür und ließen einander liebenswürdig beim Aufstiegstritt vor, wie Manilow und Tschitschikow. Dann fuhr der Zug wieder.
XVI.  Der Zug bremste so abrupt ab, als hätte ihm jemand einen Klaps auf die Loknase gegeben, er wich sogar zurück. Unser Waggon zuckte, Feldkessel stürzten zu Boden; der Ofen zischte von der Suppe, die auf ihn geschwappt war. Alle stürzten zur Tür, um sie zu öffnen. Vor uns lagen hohe Schneehügel, in der Ferne konnte man ein Wäldchen sehen, etwas abseits stand ein Dorf. Alle versammelten sich bei der Tür. Vera kam zu mir und sagte leise:
    »Sie sind mein Liebster. Jetzt wissen Sie, daß ich Sie liebe.«
    »Endlich«, flüsterte ich ihr ins Ohr.
    »Ich dachte auch ›endlich‹, als ich spürte, daß ich Ihnen das sagen wollte; wie schön, daß wir das gleiche gedacht haben«, sagte Vera.
    Alle starrten hinaus aufs leere Feld. Es war unklar, warum wir stehengeblieben waren. Aslamasjan ging das klären.
    »Hier ist ein Betriebsbahnhof; kann sein, daß wir gleich weiterfahren, kann aber auch sein, daß wir lange stehenbleiben«, berichtete er.
    »Ich glaube, man kann spazierengehen, dort auf dem Hügel«, sagte ich auf dem Weg zur Tür.
    In diesem Moment betrat Rosaj den Waggon. Seit Veras Entführung hatte er sich bei uns nicht blicken lassen. Wahrscheinlich hatte er auch Vera seitdem nicht mehr gesehen. Mir schien, daß sein Gesicht eingefallen und gelb geworden war. Seine Augen aber waren lebhaft und schnell, sie ähnelten Veras Augen. Er gefiel mir, trotz allem. Er setzte sich auf das Brennholz, und die Mädchen stellten sich sofort um ihn herum. Ich schaute Vera an. Sie stand mit dem Rücken zu mir und mit dem Rücken zu Rosaj, schmal, aufrecht und angespannt, als wäre sie bereit, jeden Moment wegzurennen. Es wäre zu schwer für mich gewesen, eine neue Szene zwischen ihr und Rosaj mit anzusehen. Und die Szene war unvermeidlich. Ich wandte mich daher ab und ging hinaus.
    Mit stehengebliebenem Herzen stieg ich auf einen Hügel und watete im Schnee. Ich hatte nicht gemerkt, wie Vera sich mir hinterhergestürzt hatte. Sie lief außer Atem zu mir und sagte:
    »Liebster, Liebster.«
    »Verotschka, ich brauche keine Opfer«, sagte ich und begriff gleich, daß es herzlos war, ihr das zu sagen.
    Wir rannten über den Hügel. Der Waggon war nun nicht mehr zu sehen. Vera schmiegte sich an mich und weinte.
    »Vera«, sagte ich und fühlte, daß auch mir die Tränen hochstiegen. »Verotschka, kann man stärker lieben, als ich Sie liebe?«
    Als wir zurückkamen, war Rosaj schon längst nicht mehr in unserem Waggon, und wir wollten nicht an ihn denken. Auf den Pritschen bereitete man sich schon zum Schlafen vor. Uns fiel es schwer, uns zu trennen. Wir setzten uns nebeneinander an den Ofen und saßen lange zu zweit. Ich konnte wie früher meine Augen nicht von Vera abwenden. Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter, so vertrauensvoll und zärtlich, daß sich mein Herz zusammenzog.
    »Wie sagt man ›warmer Wind‹ auf französisch?« fragte mich Vera.
    Ich sagte es ihr.
    »Wenn ich Ihnen ›mein Liebster‹ sagen will, werde ich vor allen, laut, daß man es im ganzen Wagen hören kann, ›vent chaud‹ sagen.«
XVII.  Der Betriebsbahnhof hatte einen französischen, irgendwie bretonisch klingenden Namen: Turdej. Auf einem benachbarten Hügel stand das von der feindlichen Invasion

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