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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wsewolod Petrow
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Arbeit geht usw.). Im Gegenteil, sie machen die Figuren lebendiger, verständlicher für den Leser. Es gibt unter diesen sympathischen Menschen nur einen einzigen Negativhelden, der aber nichts Schlimmes tut – er ist nur unsympathisch: egoistisch, feige und weit davon entfernt, mit allen anderen zusammen nur »für die Front, nur für den Sieg« zu leben. Er lebt für sich, tut aber alles, was von ihm verlangt wird. Und hier kommen wir zum wahrscheinlichen Initialanstoß für Wsewolod Petrow: Der unsympathische Arzt Suprugow ist ein Mensch, der all das liebt, was Petrow und die Menschen seines Schlags liebten, Kunstgegenstände, venezianisches Glas, Porzellan, antiquarische Bücher, das 18. Jahrhundert, und – o Schreck! – er besitzt einige Jahrgänge des Almanachs »Schipownik« (»Wildrose«), eines der wichtigsten Literaturorgane des »Silbernen Zeitalters«, wo führende Dichter dieser Zeit publizierten, von Alexander Blok bis eben Michail Kusmin. Ich glaube, Wsewolod Petrow fühlte sich bei der Lektüre des Buches persönlich angegriffen, weil er sich unter dem ganzen Personal des Erfolgsromans ausschließlich und allein mit dem unsympathischen Suprugow identifizieren konnte. Und er schrieb eine Erzählung im Namen eines solchen – eines Menschen, der zwar alles tut, was von ihm verlangt wird, aber nicht dazugehört. Und auch nicht dazugehören will.
    Der Ich-Erzähler der
Manon Lescaut von Turdej
ist quasi Petrows »entkarikierter« Suprugow. Nicht von ungefähr beginnt die Erzählung mit einem Anfall hysterischer Todesangst des Erzählers, die zu Atemnot und fast Herzstillstand führt. Eine solche Angst hat bei Panowa der egoistische Arzt Suprugow, als einziger der ganzen Besatzung! Der namenlose Erzähler bei Petrow ist ein Suprugow, der aber nicht unsympathisch ist, sondern ein feiner, nervöser und verträumter Mensch. Später wird er der einzige sein, der während einer Bombardierung mit der Angst kämpft und sich zwingt, »den anderen nicht hinterherzurennen«, weil »es peinlich ist, sich so zu retten«. Macht das ihn zu einem »Positivhelden«? Fürs erste stellte sich diese Frage für Petrow nicht: Er wollte nur die Situation berichtigen, in der er sich mit einem Widerling und Schwächling identifizieren mußte.
    Und was macht er mit den Realitäten, die Wera Panowa ausläßt? Stellt er sie wieder her? Ersetzt er mit ihnen die »falschen« Realitäten, die »Normbilder«? Nein, das wäre der Weg eines »antisowjetischen Sozrealismus«, der Weg, den später Solschenitsyn und viele andere gegangen sind. Sie stellten die Kultur, in der sie erzogen und aufgewachsen sind, nicht in Frage – sie versuchten sie nur mit »Wahrheit« zu füllen. Was natürlich dazu führte, daß eine andere »Unwahrheit« entstand: Das Leben in der UdSSR bestand doch nicht ausschließlich aus Straflagern, Säuberungen, Angst und Elend.
4.
Reduktion als Mittel zur Wahrheitserhaltung
Wsewolod Petrow ist einen prinzipiell anderen Weg gegangen – den Weg der weiteren Reduktion. Anstatt »die Wahrheit« wiederherzustellen, reduziert er die Situation in seiner Novelle bis zum (für ihn) Wesentlichen.
    Allem Anschein nach liegt eine kleine Liebesnovelle aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs vor uns. Ein sowjetischer Spitalzug fährt von einer Front zu einer anderen. Der Protagonist, ein kultivierter Petersburger Intellektueller, ein Überbleibsel der alten vorrevolutionären Kultur, hat Herzanfälle und Todesangst, liest
Die Leiden des jungen Werthers
(selbstverständlich auf deutsch) und beobachtet das Leben dieser unfreiwillig zusammengeführten Gesellschaft: Militärärzte, Apotheker, Krankenschwestern, Aushilfspersonal. Eine seltsame Zwischenzeit mitten im Krieg: »Wir fuhren so lange, daß wir allmählich den Überblick über die Zeit verloren. Man fuhr uns zur neuen Front. Niemand wußte, wohin man uns schickte. Wir fuhren von Station zu Station, als ob wir uns verirrt hätten. Man hatte uns wohl vergessen.« Alle sind mit alltäglichen Sorgen beschäftigt, streiten miteinander, versöhnen sich, singen Lieder ...
    Mitten in
welchem
Krieg eigentlich? Dieser Krieg könnte auch der Erste Weltkrieg sein, obwohl wir wissen, daß die Novelle vom Zweiten Weltkrieg handelt, das schon. Aber wir beobachten eine konsequente Aussparung aller Merkmale, welche die Situation historisch konkretisieren könnten – es gibt keine Kommissare (oder »Politischen Leiter«), keine Dienstbezeichnungen, die nicht auch im Ersten Weltkrieg hätten

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