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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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den jungen Griechen gern, er war der Flinkeste unter den Arbeitern und immer zu einem Späßchen aufgelegt. Außerdem war Tsimtsiliakos der Einzige unter den Bauarbeitern, der noch durchblickte, wenn die Statiker wieder von der Baustelle verschwunden waren. Und er sprach besser Deutsch als die meisten seiner einheimischen Kollegen.
    »Wir sind da auf was Interessantes gestoßen, das wollte ich Ihnen zeigen, bevor wir mit der Mauer weitermachen. Eine Treppe oder so.« Tsimtsiliakos machte ein wichtiges Gesicht.
    Haubold stutzte. »Was, da in der Mauer, wo ihr gerade arbeitet? Gibt’s doch gar nicht. Das ist eine einfache Stützmauer!«
    »Wenn ich’s doch sage, eine Treppe, mittendrin. Wir haben die alten Steine rausgebrochen, und da war sie!«
    Der junge Grieche hatte nicht zu viel versprochen. An der unterspülten Stelle waren etliche Quader gelockert worden, die vorher unterhalb des Bodenniveaus gelegen hatten. Bei der Bergung des zerstörten Materials hatte man den Zugang zu einem Hohlraum freigelegt, in dem unter dem entstandenen Abraum zwei, drei Stufen zum Vorschein gekommen waren. Die Maurer standen redend daneben und machten Zigarettenpause.
    »Tatsächlich!« Haubold kletterte zwischen den Steinbrocken herum, was ihm einige Beschwernis bereitete. »Hast Recht gehabt, Costa, das sind Treppenstufen, ganz eindeutig. Da war offensichtlich eine Art Höhlung innerhalb der Mauer. Jetzt ist mir auch klar, warum gerade dieser Teil kurz vorm Einstürzen ist. Da muss innen ein Gang verlaufen sein. Könnt ihr mal vorsichtig die Brocken dort wegräumen? Vielleicht lässt sich dann mehr erkennen.«
    Die fünf Bauarbeiter machten sich an die Arbeit und warfen Steine und Dreck auf eine Schubkarre. Das taten sie genau fünf Minuten, dann schmissen sie ihre Schaufeln hin und wandten sich zum Gehen.
    »Feierabend, Meister!«
    Haubold sah auf die Uhr, es war halb zwei. Er seufzte.
    »Na, schön. Dann bis Montag. Ich überlege mir bis dahin, was zu tun ist. Schönes Wochenende!«
    Die Maurer bestiegen ihren Pritschenwagen und rumpelten mit aufröhrendem Motor durch das Tor bergabwärts.
    Gregor Haubold war keineswegs nach Feierabend zu Mute. Er stand vor dem halb freigeräumten Loch und kratzte sich nachdenklich die Backe. Langsam ließ er seinen Blick nach oben schweifen. Dort droben, vielleicht zwanzig Meter schräg links, lagen die Markgrafenzimmer im ersten Stock des Ostflügels …
    Der Kastellan schwankte. Seine starke Abneigung gegen körperliche Arbeit und die Tatsache, dass er noch nicht zu Mittag gegessen hatte, rangen mit seinem Forschergeist. Schließlich siegte die Neugier. Haubold krempelte die Ärmel hoch, schnappte sich eine Schaufel und machte sich daran, die Treppenstufen ganz freizuräumen. Nach einer Viertelstunde lief ihm der Schweiß übers Gesicht. Er zog das Hemd aus und schuftete im Unterhemd weiter. Die Treppe nahm immer mehr Gestalt an. Sie war etwa anderthalb Meter breit, grob und unregelmäßig behauen. Als Haubold nach einer halben Stunde völlig ausgepumpt sein Werk besah, waren fünf Stufen zu erkennen, die ganz deutlich innerhalb der Stützmauer nach unten führten, und zwar bis unterhalb des Bodenniveaus. Was man von der Wand des Ganges unterhalb des Mauerniveaus erkennen konnte, war blanker Fels.
Und wenn er sich durch den nun entstandenen Spalt zwängte? Vielleicht war der Gang ja weiter unten unversehrt?
    Haubold hatte für den Augenblick genug. Ausgepumpt und verschwitzt, wie er war, ging er zurück in die Wohnung, um zu duschen und dann ein kurzes Nickerchen zu machen. Dann konnte man weitersehen.
    Später auf dem Sofa versuchte der Kastellan seine Gedanken zu ordnen. Also: Ein Treppengang in einer Mauer unter den Markgrafenzimmern im Ostflügel, der direkt unter die Erde führte. Haubold wusste natürlich von den jahrhundertealten Gerüchten über Geheimgänge, die vom Hochschloss nach Kulmbach führen und, so munkelte man, in einem der unzähligen Bierkeller enden sollten, die die Stadtbewohner im Lauf der Jahrhunderte in den Schlossberg getrieben hatten. Aber solch ein Tunnel war in dem Gewirr der Kulmbacher Sommerkeller nie entdeckt worden. Nur ein einziges Mal fand sich in den einschlägigen Quellen ein Hinweis auf einen unterirdischen Fluchtweg, nämlich beim Wiederaufbau der Burg nach deren Zerstörung im Bundesständischen Krieg. Die Bauakten erwähnten Ende des sechzehnten Jahrhunderts die Säuberung und Renovierung des »verborgenen Gangs«, der vom Schlosshof in den südlichen

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