Die Markgräfin
verloren gegangen. Die Überlieferung fängt erst mit dem Wiederaufbau der Stadt langsam wieder an. Und wenn Ihre Klöpplerin auf der Burg gearbeitet hat, dann fällt die ganze Geschichte vermutlich genau in diese quellenarme Zeit. Und das nächste Problem ist, in den wenigen Quellen eine konkrete Person herauszufinden. Ja, wenn es um die Namen von Räten, Bürgermeistern, Richtern ginge, also Personen, die ein öffentliches Amt bekleidet haben, dann hätten wir eine Chance. Wir wissen zum Beispiel, dass mehrere Zehrers im Kulmbacher Rat saßen. Die Zehrer sind als eine der einflussreichsten Bürgerfamilien bekannt. Aber über ihre Frauen … ehrlich gesagt, ich wüsste nicht, wo ich in meinem Bestand suchen sollte. Frauen tauchen in den Quellen gewöhnlich sowieso kaum auf. Die führten halt meistens ein Dasein zwischen Herd, Kirche und Kindern, und das hat niemand für erwähnenswert gehalten. Gott sei Dank hat sich das ja inzwischen geändert, gell, Frau Hufnagel?«
Die Angesprochene nickte mit Nachdruck.
Fleischmann gab nicht so schnell auf. »Aber dieser Heinrich Zehrer hat hier im Archiv über den Familienstammbaum geforscht … «
»Moment.« Geli Hufnagel holte einen dicken grauen
Ordner aus einem Aktenschrank. »Das können wir nachprüfen. Jeder Benutzer füllt bei uns nämlich einen Leihschein für die Archivalien aus, mit denen er arbeitet – Sicherheitsmaßnahme sozusagen, denn wenn hinterher was fehlt, kann man genau feststellen, wer’s geklaut hat. Sind ja zum Teil ganz kostbare Sachen, die wir da haben.« Sie blätterte ganz hinten im Ordner. »Da! Zehrer, Heinrich. Benutzungszweck: Familienforschung. Na, der war ja ziemlich oft hier.«
»Allerdings vor unserer Zeit«, versetzte Kleinert. »Schauen wir mal, was hat er sich denn ins Lesezimmer bringen lassen … , hm. Das sind alles jüngere Sachen. Geht los vor dem Zweiten Weltkrieg und hört auf ungefähr Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Wollen Sie mal in die Originale reinschauen?«
Fleischmann wehrte ab. »Nicht nötig. Den Stammbaum bis zum Dreißigjährigen Krieg hat mir schon die Frau Zehrer kopiert. Offensichtlich hat ihr Schwager für die Zeit vorher nichts mehr finden können. Genau die Zeit eben, die mich interessiert.«
Kleinert stellte den Ordner wieder zurück. »Waren Sie denn schon mal im Staatsarchiv in Bamberg?«
Fleischmann verneinte.
»Da liegen sämtliche Archivalien, die die Plassenburg betreffen. Wenn die Frau wirklich auf der Burg gearbeitet hat, muss ja so etwas wie ein Arbeitsvertrag existiert haben, eine so genannte Bestallung. Da
steht normalerweise drin, wie der Bedienstete heißt, was er für eine Funktion bei Hof hatte und wie viel er verdiente. Vielleicht findet sich in irgendwelchen Bestallungsbüchern der Name Zehrer.«
Fleischmanns Laune hellte sich wieder auf. »Da fahre ich dann wohl als Nächstes hin.«
»Und noch eine Möglichkeit: Fragen Sie doch mal im Kloster Himmelkron nach, ob es dort für die betreffende Zeit noch Unterlagen gibt. Aufnahmeregister, Sterbebücher oder Ähnliches. Da könnte auch was zu finden sein.«
»Ist das weit von hier, Himmelkron?«
»So zwanzig Kilometer, schätze ich.« Geli Hufnagel wusste Bescheid.
»Wenn Sie wollen, können wir uns nächste Woche dort treffen«, meinte der Archivar. »Ich muss dort ohnehin etwas überprüfen und würde Sie dann in der Klosterregistratur vorstellen.«
»Gerne, das wäre ganz prima.«
»Halt, mir fällt da noch was ein!« Der Archivar griff zum Telefon.
»Hallo und grüß Gott, Herr Kellermann, Kleinert hier. O ja, danke, und selber? Freut mich, freut mich. Sagen Sie mal, die Kirchenbücher bei Ihnen im Dekanatsarchiv – die haben Sie doch in unserem Fall ›totes Kind‹ durchgesehen? Das heißt, die greifen bis ins sechzehnte Jahrhundert zurück? Ja? Na, wunderbar. Ich habe hier nämlich einen Benutzer, der gern
mal einen Blick da hineinwerfen würde. Kann ich Ihnen den Herrn demnächst mal schicken? Alles klar. Bis dann, beim nächsten Stammtisch im ›Schiff‹! Wiederhören.«
Er wandte sich an Fleischmann. »Also. Die Kirchenbücher für das sechzehnte Jahrhundert liegen im Dekanatskeller. Wenn Sie sich die Arbeit machen wollen und die Eintragungen von Geburten, Taufen, Sterbefällen, Eheschließungen und so weiter durchforsten, müssten Sie mit Sicherheit auf die Familie Zehrer stoßen. Wenn Ihr Familienforscher, dieser Heinrich Zehrer, seinen Stammbaum mit dem Dreißigjährigen Krieg abreißen lässt, dann ist er
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