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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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noch reichte. Er beschloss, die Taschenlampe nicht mehr zu
benutzen, und zündete stattdessen mit einem Streichholz die Karbidlaterne an. Die gleißende Helligkeit, die von dem Metallreflektor hinter dem aufflammenden Karbidknäuel ausging, blendete ihn beinahe, und er konnte deutlicher sehen als vorher mit der Taschenlampe. Behutsam, um keine Erschütterungen auszulösen, schulterte er den Rucksack und machte sich wieder auf den Weg nach unten.
    Er gelangte ohne Schwierigkeiten bis zu der Abzweigung und bog in den rechten Tunnel ein. Nach einigen Schritten bemerkte er seitlich einen fast mannshohen, engen Durchschlupf. Er bückte sich, steckte so weit er konnte Kopf und Oberkörper hindurch und leuchtete hinein. Was er sah, war ein Raum von vielleicht drei mal vier Metern, der ein aus Backsteinen gemauertes Tonnengewölbe hatte. Haubold suchte mit den Augen sorgfältig die Wände ab, um vielleicht einen Ausgang zu finden, als sein Blick sich in der hinteren Ecke förmlich festsaugte. Seine Nackenhärchen richteten sich auf, und etwas rieselte ihm kalt den Buckel herunter: Da lag ein Skelett – hingekauert, zusammengesackt zu einem staubigen, eingefallenen Knochenhaufen unter einem schräg geneigten Schädel, der seinem Entdecker wie hohnlachend die Zähne entgegenbleckte.
    Dem Kastellan wurde ganz anders. Da ist schon vor mir jemand nicht mehr lebend hier rausgekommen, schoss es ihm durch den Kopf. Wer weiß, wie lange
der da schon liegt? So wird’s mir auch bald gehen. Er kämpfte gegen die wiederaufsteigende Panik an. Mein Gott, fiel ihm ein, das ist jetzt das zweite Skelett innerhalb eines Dreivierteljahres, das ich auf der Plassenburg finde! Das ist ja fast wie im Film, dachte Haubold, doch die Vorstellung, möglicherweise bald zum Schicksalsgenossen seines eigenen neuesten Leichenfundes zu werden, überdeckte schnell jegliche Anwandlung von Humor.
    Nachdem Haubold nicht ohne größere Anstrengung ganz in den Raum hineingekommen wäre und außerdem keine Zeit verlieren wollte, riss er sich zusammen, ließ die Leiche fürs Erste Leiche sein und ging weiter den Gang entlang. Der verlief jetzt völlig eben, und Haubold kam gut vorwärts, auch wenn seine Schuhe inzwischen mit dem brackigen Wasser durchtränkt waren. Mit Befriedigung stellte er fest, dass die Karbidrolle äußerst sparsam im Verbrauch und erst zu knapp einem Viertel verbrannt war. Licht würde er also noch eine Weile haben. Er sah auf die Uhr. Stehen geblieben! Auch das noch! Das hatte er davon, dass er aus Pietät immer noch die alte Timex-Aufziehuhr seines Vaters trug. Er überlegte; es musste längst auf acht Uhr gehen. Sein Magen knurrte, und er hatte Durst.
    Ziemlich erschöpft ging er weiter. Der Rücken tat ihm weh, weil er sich immer wieder bücken musste. Er hängte sich den Rucksack vor den Bauch, was
ein bisschen half, weil es die Wirbelsäule entlastete. Schließlich bemerkte er, dass der Gang wieder leicht anstieg und Wände und Decke fast vollständig aus gemauerten Steinen bestanden. Und nach einer scharfen Biegung nach links sah er, was er nicht sehen wollte: Da war kein Ausgang, sondern eine Mauer.
    Der Tunnel war zugemauert! Haubold ließ sich in die Ecke sinken und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er fühlte sich völlig am Ende, alles an ihm war irgendwie taub. Es kam ihm so vor, als ob alles in Zeitlupe abliefe, seine Bewegungen, seine Gedanken. Er empfand nicht einmal mehr Angst, sondern verfiel in eine Art stumpfe Lähmung. Er lehnte den Kopf gegen die Wand und schlief ein.
    Schreiben des Markgrafen Albrecht Alkibiades an
den Hauptmann auf dem Gebirg zu Plassenberg ob
Kulmbach, 1 .September 1548
     
    Gottes Gruß zuvor und mehr Glück als uns jetzo beschieden ist, bester Freund und Hauptmann! Was du über Gerüchte längst gehört haben magst, ist wirklich eingetreten. Wir sind gefangen, und unser Regiment verloren. All unser Streben, dem glorreichen Herzog Moritzen zum Sieg über seinen Vetter Ernst von Braunschweig, den feigen Prätendenten auf den sächsischen Titel, zu verhelfen, ist kläglich gescheitert. Noch
vor einigen Tagen haben wir die Festung Rochlitz mit großem Hauen und Stechen eingenommen und waren uns unserer Sache sicherer als der Teufel sich des Höllenfeuers! Siegesfeste haben wir schon gefeiert mit Tanzen, Springen und Saufen, wie sich’s gehört! Derweil lag die kurfeindliche Streitmacht, deren schändliche Anführer bisher den Hasen im Busen getragen haben, drei Meilen entfernt bei Altenburg. Nur

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