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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Haubold hielt das für plausibel. Er war davon überzeugt, sich irgendwo mitten unter der Altstadt zu befinden. Hier roch die Luft muffiger und abgestandener als oben. Vielleicht war der Abstieg durch den Schlossberg mit versteckten Kanälen oder Felsspalten zur Frischluftzufuhr ausgestattet, die irgendwo im Gelände mündeten, während unter der Stadt solche »Luftröhren« nicht mehr machbar gewesen waren.
    Schnaufend bahnte sich Haubold weiter seinen Weg, jeden Moment darauf gefasst, ans Ende des Tunnels zu kommen. Doch plötzlich stieß er auf etwas Unerwartetes: Als er leicht ins Schwanken geriet und sich seitlich abstützen wollte, griff seine tastende Hand ins Leere. Er blieb stehen und leuchtete um sich. Beinahe wäre er vorbeigegangen, ohne es zu merken: Tatsächlich, da spaltete sich auf der rechten Seite ein zweiter Tunnel ab. Jetzt wohin, dachte der Kastellan. Und was hatte dieser zweite Tunnel für einen Sinn? Sollte er Verfolger unsicher machen? Oder gab es einen weiteren Ausgang für den Fall, dass der
erste versperrt war? Da hatte wohl einer damals an alles gedacht!
    Nach einigem Überlegen entschied sich Haubold, geradeaus weiterzugehen. Der Gang führte immer noch leicht abwärts. Innen wurde es zunehmend feuchter, der Boden wurde tief und schlammig, und der Kastellan trat fast mit jedem Schritt ins Wasser. Von oben tropfte es; Haubolds Haare waren schon ganz nass und klebten an seinem Schädel. Ein kleines Rinnsal bahnte sich kitzelnd den Weg über seine Wange, bis er es wegwischte.
    Der Tunnel machte inzwischen keinen so sicheren Eindruck mehr wie im oberen Bereich. Die Holzstützen waren aufgeweicht und faserig, manche sogar bis zum Boden abgefault. An den Wänden waren immer wieder Steine ausgebrochen und auf den Boden gefallen, es zeigten sich breite, zackige Risse, und der Mörtel war an vielen Stellen weggebröckelt. Liegt an der Feuchtigkeit, dachte Haubold, im Winter friert es auf und sprengt die Steine ab. Als er schließlich auf eine Stelle stieß, wo die Seitenwand rund um einen der Stützpfosten auf zwei Meter Länge nach innen eingefallen war, dachte er daran umzukehren. Es wurde ihm langsam zu gefährlich. Ein kleines Stückchen nur noch, beschwichtigte er sich selber und zwängte sich seitlich an dem kleinen Berg aus Geröll und Erde vorbei. Dahinter sah der Gang wieder etwas besser aus, aber nach ungefähr hundert Metern war endgültig
Schluss. Vor dem Kastellan lag eine unüberwindliche Mauer aus Schutt, Erde, Holzresten und Steinen. Da gab es kein Durchkommen mehr. Der Tunnel war zusammengebrochen.
    Mist.
    Haubold warf den Rucksack ab und hockte sich an einer trockenen Stelle mit dem Rücken gegen die Wand. Durstig öffnete er seine zweite Coladose und ließ das süße Getränk in sich hineingluckern. Also umkehren. In spätestens zwei Stunden, wahrscheinlich früher, würde er wieder am Ausstieg sein, und für morgen konnte er sich dann den zweiten Gang vornehmen. Hungrig verspeiste er die zweite und dritte seiner insgesamt vier Lila Pausen und ärgerte sich, dass er sich kein Vesperbrot mitgenommen hatte. Aber um so was kümmerte sich ja sonst auch seine Frau, und die war nicht da.
     
    Während Haubold unter Tage den Geheimgang erforschte, bekam Wolfgang Kleinert im Kulmbacher Stadtarchiv Besuch von einem jungen Historiker. Die alte zweiflügelige Holztür knarzte und quietschte, als Thomas Fleischmann, bewaffnet mit Schirm und einem alten Schulranzen, das Gebäude des Kulmbacher Stadtarchivs betrat. Er schüttelte die Tropfen aus seinem schwarzen Knirps Automatik, putzte die nass gewordene Brille an seinem Pullunder sauber und sah sich dann um. Links über seinem Kopf entdeckte
er ein Pappschild mit einem verblichenen roten Pfeil, auf dem in Frakturschrift »Heimatmuseum« zu lesen war; darunter den obligatorischen versteinerten Baumstumpf, der wohl die meisten derartigen Einrichtungen zierte. Ein Stück weiter vorne hing ein zweiter Wegweiser: »Stadtarchiv 1 . Stock«. In freudiger Erwartung nahm der Historiker je zwei Stufen auf einmal und erreichte schwer atmend den übernächsten Treppenabsatz. Er klopfte und trat ein.
    Drinnen kam ihm schwungvoll eine groß gewachsene junge Frau mit Brille und Prinz-Eisenherz-Frisur entgegen, fröhlich eine Gießkanne schwenkend. Es handelte sich um Geli Hufnagel, den guten Geist des Stadtarchivs.
    »Grüß Gott!« Sie strahlte ihn mit einem reizenden Lächeln und wogendem Busen an. Fleischmann wurde es warm ums Herz, und eine

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