Die Markgräfin
Vielleicht hat er ja Recht. Ich bin nun einmal kein Soldat. Aber Moritz von Sachsen, ja, das ist einer von echtem Schrot und Korn, der reitet und haut und sticht, dass es eine Pracht ist!« Leuchtenbergs Hände zitterten, als er sich erneut einschenkte.
»Albrecht hat dich also für den Herzog von Sachsen verlassen?«
»Die zwei passen doch gut zusammen, oder? Immerhin hat er mich noch so lange bei sich behalten, bis ihm eingefallen ist, wie er mich für die Zukunft gut versorgen kann – da ist es ihm gerade recht gekommen, dass der Schaumberger bei der Rechnungslegung betrogen hat. Jetzt muss er mir gegenüber kein schlechtes Gewissen mehr haben.«
»Warum hast du nicht deinen Stolz und gehst woanders hin? Georg würde dich in Ansbach bestimmt aufnehmen, und ein Amt bei Hof ließe sich sicherlich auch finden.«
Georg antwortete nicht.
»Du willst in seiner Nähe bleiben, nicht wahr? Du liebst ihn immer noch?«
Leuchtenberg nickte unglücklich. »Ich kann’s nicht ändern, Bärbel, es ist einfach so. Ich bring’s nicht fertig wegzugehen. Albrecht hat schon Recht, ich bin ein Weib. Aber früher oder später wird der Sachse ihm den Laufpass geben, das glaub ich felsenfest. Und vielleicht erinnert er sich dann daran, dass ich immer zu ihm gehalten hab.«
Barbara schüttelte den Kopf. »Du bist zu gut für ihn, Georg. Aber ich wünsch dir Glück. Mit der Zeit wird sich alles finden.«
Georg lächelte müde. »Dank dir, Bärbel, das wünsch ich dir auch.« Er blinzelte, gab sich einen Ruck und
trank sein Glas aus. »Albrecht hat mir im Übrigen keine Instruktionen gegeben, was dich betrifft, außer dass du das Schloss nicht verlassen darfst und deine Briefe kontrolliert werden müssen. Du hast also, von mir aus, jede Freiheit. Und jetzt wollen wir schlafen gehen. Ich hab einen langen Tag hinter mir und freu mich auf ein ordentliches Bett.«
Barbara wartete einen Augenblick darauf, dass er aufstehen und sie zur Tür begleiten würde, aber nichts geschah. Schließlich erhob sie sich und wünschte ihm eine gute Nacht. Nachdenklich ging sie in Richtung Hofstube davon.
Nachdem die Markgräfin die Tür hinter sich zugezogen hatte, ordnete Leuchtenberg noch die Papiere auf seinem Schreibtisch, schloss den Deckel des Tintenfässchens und legte den Gänsekiel in die dafür vorgekerbte Rinne neben der Streusandbüchse. Der Kopf tat ihm weh, und er fühlte sich zerschlagen von der langen Reise. Ächzend langte er neben sich auf den Boden, hob die Krücken auf und lehnte sie links und rechts vom Stuhl gegen die Tischplatte. Dann stützte er sich mit beiden Händen von der Armlehne ab und erhob sich. Er nahm die Krücken unter die Achseln und stakte mit geübten Bewegungen zum Fenster. Dort, wo einmal sein linkes Bein gewesen war, baumelte knielang die leere Stoffröhre der Pluderhose.
Kulmbach, August 2002
Haubold hatte sein Päuschen beendet und lud sich unter Verrenkungen den Rucksack wieder auf. Dummerweise hatte er im Sitzen vergessen, wie niedrig der Gang an manchen Stellen war, und stieß beim Aufstehen mit dem Kopf hart gegen die bucklige Decke. Fluchend langte er mit der Hand an die schmerzende Stelle. Doch inzwischen konnte nichts mehr seine Hochstimmung trüben, und er arbeitete sich Schritt für Schritt in dem finsteren Tunnel vorwärts, jede Stufe zuerst mit der Taschenlampe ausleuchtend. Nach einer Weile hörte die Treppe auf und es ging nur noch leicht bergab. Der Gang weitete sich. Seitenwände und Decke bestanden nicht mehr nur aus reinem Felsen, sondern waren zum Teil aus groben, unbehauenen Steinbrocken aufgehäuft und gemauert. Der Boden war jetzt aus gestampfter Erde, versetzt mit größeren und kleineren Steinen, die den Kastellan mehrmals zum Stolpern brachten. Langsam ließ der Schein der Taschenlampe nach – die Batterie wurde leer, und Haubold machte Halt, um sie zu wechseln. Er sah auf die Uhr. Schon Viertel vor fünf. Knapp zwei Stunden befand er sich jetzt schon im Stollen. Auch wenn er noch so langsam vorwärts gekommen war, inzwischen musste doch Kulmbach erreicht sein. Dafür sprach auch, dass die Stufen aufgehört hatten – aller Wahrscheinlichkeit nach war er
am Fuß des Schlossbergs angekommen. Das bedeutete, dass das Ende des Tunnels nicht mehr allzu weit sein konnte.
Alle bisher unbewiesenen Theorien über einen Geheimgang gingen davon aus, dass dieser in einem der vielen Kulmbacher Bierkeller enden musste, die in früheren Zeiten tief in den Berg hineingegraben worden waren.
Weitere Kostenlose Bücher