Die Markgräfin
»Ein kleiner Abendmahlskelch, oder? Mit einer Darstellung des Heiligen Christophorus, wie er das Jesuskind trägt, schön, schön.«
Haubold griff sich vorsichtig den Pokal, drehte und wendete ihn. »Gloria Dei in Eternitate. Barbara von Gots Gnaden Herzogin zu Groß-Glogau. Versteh ich
nicht. Was hat das mit unserem toten Kind zu tun? Ah, hier, das ist wohl dieses ›B‹!«
Auch Fleischmann besah sich nun das Initial genau.
Kellermann setzte sich in Positur. »Also, ich erklär's euch jetzt. Kürzlich kam der Herr Fleischmann – ihr habt euch ja vorhin schon bekannt gemacht – zu mir ins Dekanat und suchte … ach, das können Sie ja selber erzählen, mein Lieber.«
Fleischmann, der vor einigen Minuten erst eingetroffen war, berichtete von seiner Suche nach der Nonne aus der Familie Zehrer.
Kellermann fuhr fort. »Ja, und ich habe derweil dann weiter überlegt. Mir ist nämlich dieses ›B‹ mit dem Krönchen, das in die Klöppelsachen eingearbeitet wurde, nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Schließlich fiel mir ein, wo ich das schon mal gesehen hatte, nämlich auf dem Kelch hier. Er stammt aus der Nikolaikirche und ist schon sehr lange nicht mehr benutzt worden.«
»Sie meinen, dass diejenige, auf die sich das ›B‹ bezieht, auch die Besitzerin des Pokals war und vielleicht die Mutter unseres Kindes ist?« Götz war skeptisch.
»Immer langsam.«
Die gestresste Bedienung hatte inzwischen höchst verdrießlich vier Bier auf den Tisch geknallt, und Kellermann trank genüsslich den Schaum ab. »Also. Ich
habe natürlich noch mehr getan als nur den Kelch zu polieren. Ich habe im Buch der Kirchenvisitation von 1553 nach dem Pokal gesucht. Da steht er nicht drin, war also noch nicht im Besitz der Kirche. Aber in einem späteren Kleinodienverzeichnis hab ich ihn gefunden. Da heißt es«, er fummelte in seiner Aktentasche und zog einen Zettel heraus, den er umständlich entfaltete, »anno 1571 . Item ein klein Pokällein mit dem Heiligen Christophorus samt Kindlein, so im letzten Jar einkommen als Bußgabe von Els Bucklerin, Taglöhnerswittfrau zu Culmbach.«
Haubold runzelte die Stirn. »Wie kommt eine einfache Witwe zu so einem wertvollen Stück?«
Kellermann hob die Schultern. »Ja, das frage ich mich auch.«
Unruhe entstand.
»Vielleicht hat sie ihn geklaut?«, mutmaßte Götz und schaute Hilfe suchend auf sein Schnitzel. »Ich meine, könnte doch sein, oder?«
Haubold schüttelte den Kopf. »Das führt jetzt aber zu weit, finde ich.«
Götz sah ein, dass seine Vermutung nirgendwohin führte. »Hast schon Recht. Aber jedenfalls muss diese Elisabeth Buckler irgendwie in den Besitz des Pokals gekommen sein, und zwar vor 1570 . Und das alles muss nun in Zusammenhang mit dieser Zehrer stehen, die in Himmelkron Klosterfrau war.«
»Und auch mit dieser ›Barbara Herzogin von
Groß-Glogau‹«, ergänzte Haubold stirnrunzelnd. »Die Sache wird immer komplizierter.«
Kleinert nickte beifällig. »Genau. Wisst ihr, was ich glaube, ist Folgendes: Diese Zehrer war irgendwann einmal Hofdame auf der Burg. Und so eine Hofdame dient ja für gewöhnlich irgendeiner höher gestellten Frau. Vielleicht war diese Frau die Herzogin von Groß-Glogau, und sie ist unsere gesuchte Kindsmutter. Auch wenn ich keine Ahnung habe, was die bei uns auf der Plassenburg gemacht haben soll. Etwas passt hier noch nicht zusammen.«
»Tja.« Alle begannen schweigend und nachdenklich zu essen.
Inzwischen bahnte sich eine weibliche Gestalt suchend einen Weg zwischen Tischen, Stühlen und wartenden Gästen. Es war Geli Hufnagel, mit beschlagener Brille und tropfnassem Schirm. Kleinert bemerkte sie und winkte ihr fröhlich zu, während er unter dem Tisch Pfarrer Kellermann mit dem Fuß anstieß. Die beiden tauschten einen verschwörerischen Kupplerblick.
»Ihr kennt doch alle die Frau Hufnagel, meine Mitarbeiterin?«, erkundigte sich der Archivar. Eifriges Nicken allerseits und von Fleischmann ein zunächst überraschtes, dann begeistertes Grinsen. »Ich habe sie für heute Abend eingeladen, weil sie schließlich zusammen mit dem Herrn Fleischmann auch an unserer Suche beteiligt ist.«
»Selbstverständlich«, meinte Haubold, »herzlich willkommen in unserer Runde. Setzen Sie sich doch.«
Götz räumte seine Aktentasche zur Seite, um zwischen sich und Haubold einen Platz frei zu machen, entnahm aber einem schmerzhaften Rippenstoß und einem überdeutlichen Augenzwinkern Kellermanns, dies bleiben zu lassen. Stattdessen rutschte
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