Die Markgräfin
klopfte an die offene Tür und trat ein.
»Darf ich stören, Euer Gnaden?«
Die Markgräfin nahm die Feder aus dem Mund und lächelte. »Gern, Vater. Schön, dass Ihr hereinschaut, ich komm sowieso grade nicht weiter.« Sie seufzte. »Ich glaube, irgendeiner von den Tischdienern stibitzt silberne Senftöpfchen. Vor einem Jahr waren es sechs, jetzt haben wir nur noch zwei! Die Kerzenleuchter werden immer weniger. Und Nachtscherben verschwinden auch auf rätselhafte Weise.« Sie bemerkte den Ernst in Tiefenthalers Gesicht. »Stimmt etwas nicht?«
Der junge Pfarrer zog die Tür hinter sich zu. »Ich muss mit Euch sprechen, Herrin. Es ist wichtig.«
Barbara sah ihn mit ihren hellgrauen Augen prüfend an. Die prickelnde Spannung, die sie bei den seltenen Gelegenheiten empfand, an denen sie allein mit ihm war, verflüchtigte sich. Hier ging es um etwas Bedeutsames. »Sprecht, Kaplan!«
Tiefenthaler ließ mit einer hilflosen Geste die Arme fallen und rang um die richtigen Worte.
»Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Heute bin ich um etwas gebeten worden, was so ungeheuerlich ist, dass man es kaum aussprechen kann.«
Er begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. Barbara wartete. Schließlich blieb er dicht vor ihr stehen und rang sich die nächsten Worte ab.
»Ein Mortbeten.«
Sie hob die dunkel geschwungenen Brauen und sah fragend zu ihm hoch.
»Ein Mortbeten. Versteht Ihr nicht? Ich soll eine schwarze Totenmesse abhalten, soll jemanden in den Tod hineinpredigen … «
Sie sagte nur ein einziges Wort: »Wen?«
»Euren Bruder Albrecht!« Er schrie es fast.
»Schschscht! Wenn uns jemand hört!« Die Markgräfin sprang auf und überzeugte sich, dass die Tür geschlossen war. Sie zog ihr lindgrünes Umschlagtuch enger um die Schultern, als fröre sie an diesem milden Junitag. »Heilige Maria Muttergottes! Und wer will Albrecht umbringen? Nein, sagt nichts, ich kann’s mir denken. Deshalb waren sie vor einiger Zeit bei mir – der Förtsch und der junge Wirsberg. Haben gefragt, ob ich, falls Albrecht etwas zustoßen würde, bereit sei, die Regierung interimsmäßig zu übernehmen.«
»Es ist eine Verschwörung aller gebirgischen Räte, und ich soll zu ihrem Helfershelfer werden. Aber das kann ich nicht, Liebden. Ich weiß, dass er schlecht ist, aber soll ich deshalb zu seinem Mörder werden? Ich
kann keinen Bund mit dem Teufel schließen. Ich habe abgelehnt.«
Barbara ging zum Fenster und sah auf Kulmbach hinab. Die krummen Dächer der Stadt glänzten noch nass vom morgendlichen Platzregen; die Stadtschweine mit ihren Ferkeln suhlten sich in den vielen Schlammpfützen. Ein paar Kinder spielten mit Steckenpferd und Tonfiguren, während Erwachsene geschäftig an ihnen vorbeieilten. Wenn der Krieg so weiterging, würde es mit dieser Idylle bald vorbei sein.
»Verdient hätt er es!« Barbara drehte sich wieder zu Tiefenthaler um. »Er stürzt das Land ins Unglück. Seinetwegen ist schon so viel Leid geschehen und wird noch kommen. Aber Ihr habt ja Recht, Vater Jakob, es wäre Mord. Andererseits könnte man damit vielleicht Tausende von Menschenleben retten, und das Fürstentum dazu! Vielleicht könnte das sogar einen solch ketzerischen Akt wie ein Mortbeten rechtfertigen … «
Tiefenthaler rang die Hände. »Genau das geht mir die ganze Zeit durch den Kopf. Man sagt, der Zweck heiligt die Mittel – aber solch ein Verbrechen gegen Gott und den Glauben? Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ihr seid die Einzige, mit der ich reden kann – aber er ist Euer Bruder … «
Sie schüttelte trotzig den Kopf und machte eine abwehrende Geste. »Nein, Vater, das war er einmal.
Jetzt ist er nur noch mein Kerkermeister. Er hat mir zu viel angetan, und er hasst mich. Ohne ihn wär ich frei. Sein Tod würde die Welt von einem Ungeheuer befreien. Durch seine Kriege hat er schon Tausende von Toten auf dem Gewissen. So viel Unglück! Ich glaube, es gibt auf der ganzen Welt nur einen einzigen Menschen, der ihn liebt … «
»Ich hab es munkeln hören. Georg von Leuchtenberg?«
Sie nickte. »Deswegen trinkt er. Es ist nicht nur sein Bein. Er wird nicht damit fertig, dass mein Bruder ihn verlassen hat.«
»Vielleicht ist das die Strafe Gottes für eine widernatürliche, unzüchtige Neigung?«
Barbara schaute den Kaplan prüfend an.
»Das ist ein hartes Wort, mein Freund. Könnt Ihr bestimmen, wo Eure Liebe hinfällt?« Tiefenthaler schoss die Röte ins Gesicht. Er spürte einen Impuls, auf sie zuzugehen, sie in die Arme zu nehmen,
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