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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Besucher trat einen Schritt nach vorn und verbeugte sich tief. »Georg Thiel, zu Gefallen, berufener Hofprediger zu Plassenburg. Wie befohlen, habe ich mich nach Beendigung meiner Amtsgeschäfte in Joachimsthal hierher auf den Weg gemacht. Es hat leider länger gedauert als zunächst ausgemacht, das bitt ich zu entschuldigen. Aber der Krieg zwingt einen dazu, manche Pläne zu ändern.«
    Alle im Raum waren überrascht. Barbara warf einen beunruhigten Blick zu Tiefenthaler hinüber, der ihn mit der gleichen Anspannung erwiderte.
    »Ihr meint, Ihr seid trotz der Kriegslage ins Land gekommen?«, fragte Georg ungläubig. Alle musterten verblüfft den unscheinbaren, dicklichen Mann mit der Halbglatze, der immer noch in einer leichten
Verbeugung verharrte. Er sah weiß Gott nicht so aus, als ob er den Mut gehabt hätte, unter Lebensgefahr durchs Land zu ziehen, nur um eine Stellung anzutreten. Doch Georg Thiel war ein pflichtbewusster Mensch. Natürlich war ihm bekannt gewesen, dass feindliche Truppen das Land auf dem Gebirg verwüsteten, aber ihm wäre nie in den Sinn gekommen, deshalb seiner neuen Berufung fernzubleiben. Schließlich lag alles in Gottes Hand. Jetzt überlegte er, ob er nicht einen Fehler gemacht hatte, denn ihm waren die Blicke, die zwischen Tiefenthaler und der Markgräfin hin- und herschossen, nicht entgangen. Er fühlte sich unbehaglich, ein Störenfried. Unsicher räusperte er sich.
    »Selbstverständlich bin ich gekommen, wenn auch spät, Euer Gnaden. Es war ja meine Pflicht! Der Herrgott hat mir meinen Platz hier auf der Burg zugewiesen, und dieses Schicksal muss ich wohl annehmen, ob im Krieg oder im Frieden.«
    Nachdem Barbara stumm blieb, war es an Georg, den neuen Burgkaplan willkommen zu heißen. Danach entstand eine verlegene Pause, in die der neugierige Hansi mit der Frage platzte, die von Anfang an jedem im Raum auf den Lippen gelegen hatte.
    »Vater Jakob, müsst Ihr jetzt wieder nach Kulmbach zurück?«
    Schließlich sprach Tiefenthaler, was ihm sichtlich schwer fiel. Sein Gesicht war blass, und seine Kiefer
mahlten, als er sich an die Markgräfin wandte. »Euer Gnaden – ich werde heute noch meine Sachen packen und wieder meine alte Stelle in der Stadt übernehmen. Wenn Ihr gestattet, komme ich später noch einmal, um mich zu verabschieden.«
    Thiel sah, wie auch Barbara blass wurde, und reagierte prompt. Er legte Tiefenthaler sanft und beschwichtigend seine weiche, frauenhaft zarte Hand auf den Arm.
    »Lieber Bruder in Christo, so schnell will ich Euch gar nicht vertreiben. Wollt Ihr nicht wenigstens noch ein paar Tage bleiben, mir die Burg zeigen und mich in meine Aufgabe einführen? Ich wäre Euch wirklich dankbar.« Er nickte dem Kollegen aufmunternd zu.
    In diesem Moment drang ein durchdringender Trompetenton vom Turm der Petrikirche herauf; danach ein zweiter, hellerer Klang, der vom höchsten Wachturm der Burg herüberschallte. Die Fanfaren durchschnitten die Stille des Vormittags wie ein Messer, und wer sie hörte, ob auf der Burg oder in der Stadt, wurde von Angst gepackt. Die Kulmbacher strömten in Panik auf die Straßen, und was auf der Burg Beine hatte, kletterte auf die Verteidigungsgänge der Mauern oder rannte an die Fenster, um den Grund des Alarms herauszufinden. Burg- und Stadttore wurden in fieberhafter Eile verrammelt. Währenddessen hielten die beiden Türmer kaum inne, um Luft zu holen, sie bliesen, was ihre Lungen hergaben.
Erst als der Glöckner der Stadtkirche begann, Sturm zu läuten, setzten sie ihre Trompeten ab.
    Alle im Frauenzimmer stürzten zu den Fensterbögen und öffneten die schmalen Flügel mit den Butzenscheiben. Auf den ersten Blick sah alles friedlich wie immer aus. Am Abend zuvor hatte ein feines Nieseln eingesetzt, das über Nacht langsam in Schnee übergegangen war. Die Dächer der Stadt und die ganze umliegende Landschaft waren weiß bepudert. Die Krähen flogen in Scharen über die Felder; ihre heiseren Schreie wurden durch das leichte Schneegestöber gedämpft und gingen jetzt fast im Glockengeläut unter.
    Hansi, der sich ganz nach vorne gedrängelt hatte, sah sie zuerst.
    »Da!«
    Der Junge deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Kalte Marter, ein Stück freies Gelände, das außerhalb der Stadtmauern lag. Die Büsche und Sträucher schienen sich zu bewegen. Nein, wenn man genauer hinsah, begannen sich Gestalten vor dem schwarzweiß gesprenkelten Hintergrund abzuzeichnen, Wagen, Pferde, marschierende Männer, Lafetten mit Kanonen, es

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