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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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wimmelte von ihnen.
    »Sie greifen die Stadt an!« Georg war mit einem Schlag völlig nüchtern.
    Kätha und Susanna, die aus dem Nebenzimmer gekommen waren, fielen auf die Knie und begannen zu beten. Ein Bankriese stürmte herein.
    »Hauptmann, der Feind bezieht Stellung auf dem Rehberg und hinter den Buchbergbastionen!«
    Sie wollten also Stadt und Burg von drei Positionen aus angreifen. Georgs Schultern strafften sich. »Ruhe behalten, Mann. Alle Fähnleinführer und Rottenhauptleute zu mir in die Schreibstube. Und trommel das gesamte Burggesinde im Hof zusammen. Ich will mit den Leuten sprechen.« Er stakte energisch zusammen mit dem Bankriesen zur Tür hinaus. Das laute Tok-tok seines Holzbeins hallte durch die kalten Gänge.
     
    Kaum hatte der Hauptmann das Frauenzimmer verlassen, redeten alle durcheinander. Lorenzo Neri versuchte, die völlig aufgelöste Kätha zu beruhigen, und verließ mit ihr zusammen den Raum. Sie wollten vom Lidwachturm aus zuschauen, was in der Stadt passierte. Barbara wies Susanna an, sich zusammen mit dem neuen Schlosskaplan um dessen Quartier zu kümmern. Hansi war plötzlich verschwunden. Am Ende waren Barbara und Tiefenthaler allein und standen Hand in Hand vor einem der Fenster.
    »Mein Gott, Jakob, was wird aus uns allen?« Barbara fröstelte. Sie fühlte sich in ihrem juwelengeschmückten Prunkkleid völlig fehl am Platz. Tiefenthaler nahm sie in den Arm und schaute über ihren Kopf hinweg auf Kulmbach. Zweitausend Menschen oder mehr leben dort drunten, dachte er,
Männer, Frauen und Kinder, und alle sind sie dem Untergang geweiht. Tränen der Wut stiegen ihm in die Augen.
    »Vielleicht hätte ich es verhindern können … «
    Barbara machte sich los und schaute ihn verständnislos an. »Was meinst du?«
    Er sprach wie zu sich selbst. »Das Mortbeten. Albrechts Tod hätte die Katastrophe verhindern können. Wenn ich nur den Mut gehabt hätte … «
    Die beiden schwiegen minutenlang. Barbara malte sich aus, was passieren würde, wenn die feindlichen Truppen Kulmbach einnehmen, die Plassenburg stürmen würden. Sie hörte die Schreie der Getöteten und der geschändeten Frauen, sah aufgeschlitzte Kehlen, verbrannte Körper, verstümmelte Leichen. Ihr war, als schmecke sie Blut auf der Zunge. Die Worte kamen ihr schwer über die Lippen.
    »Vielleicht ist es noch nicht zu spät?«
    Tiefenthaler zog ungläubig die Brauen hoch und sah ihr forschend in die Augen. »Weißt du, was du da sagst?«
    Sie nahm sein Gesicht in beide Hände. »Die vielen Menschen dort draußen … ihr Opfer wäre sinnlos. Und vielleicht ist es auch für uns beide die einzige Möglichkeit. Ich liebe dich, Jakob. Ich will mit dir leben. Wenn Albrecht nicht mehr da wäre … « Sie lehnte ihre Stirn gegen seine.
    Als Jakob Tiefenthaler das Frauenzimmer verließ, läuteten die Glocken der Petrikirche immer noch Sturm. Er lief auf direktem Weg zu einem der Stallburschen im unteren Hof.
    »Nickel, geh durch die Schlupfpforte hinaus und renn so schnell du kannst in die Stadt. Im Wirtshaus am Markt halten sich derzeit die Räte Ulrich von Trockau und der von Wirsberg für Beratungen bereit. Gib ihnen – aber nur ihnen selber, hörst du? – diesen Zettel.«
    Der junge Pferdeknecht, ein Neffe von Barbaras Zofe Susanna, sputete sich.

Kulmbach, Anfang November 2002
    Es gibt Tage, da sollte man gar nicht erst aufstehen, und so einer ist heute, dachte der Archivar und schimpfte leise in seinen Bart hinein. Wolfgang Kleinert hatte schlechte, wenn nicht gar übelste Laune. Schon beim Frühstück war es losgegangen: Ganz freundlich hatte er seinem sauberen Herrn Sohn demonstriert, wie man sein Pausenbrot ordentlich in der Büchertasche verstaut, und sich prompt dafür von dem Rotzlöffel anmotzen lassen müssen. Danach hatte sich seine Frau beschwert, dass er noch immer nicht die Winterreifen auf ihr Auto montiert habe.
Auf dem Weg ins Archiv hatte er zu allem Überfluss ein abbiegendes Auto übersehen und wäre beinahe unter die Räder gekommen. Der Fahrer hatte ihm einen Vogel gezeigt. Und jetzt kam auch noch diese Schülerin zu spät, mit der er um halb elf einen Termin für eine Benutzerbetreuung ausgemacht hatte.
    Kleinert schnaubte und machte sich daran, die Papiere auf seinem Schreibtisch in kleinen Stapeln zu ordnen. Um zehn vor elf schließlich klopfte es und die Tür ging auf. Herein kam ein schwarz gekleidetes Wesen mit zinnoberrot gefärbten Haaren, in der einen Hand einen Motorradhelm, in der anderen eine

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