Die Markgräfin
gezeichnet.«
»Muss ja ein frohgemuter Mensch gewesen sein, dieser Schreiber, dass er zu diesen drakonischen
Strafen auch noch so putzige Bildchen gemalt hat!« Tanja Böhm blickte angewidert auf die detailgetreu gezeichneten Bildchen und schauderte.
Kleinert lachte. »Ja, die Menschen hatten damals eine ganz andere Vorstellung von Gerechtigkeit. Für unseren Schreiber hier waren Strafen, die uns heute unvorstellbar erscheinen, etwas völlig Normales: Ohrenabschneiden, Abhacken von Gliedmaßen, Hängen, Vierteilen, Backendurchbrennen, Brandmarken … «
Das Mädchen schluckte und schüttelte sich, und Kleinert schmunzelte. »Soll ich Ihnen noch weiter beim Lesen helfen, oder sind Sie doch zu zart besaitet für das Thema?«
»Doch, doch, das halt ich schon aus.« Das Mädchen deutete mit dem Finger auf die nächste Eintragung. »Worum geht’s denn da?«
Kleinert fing die Sache an Spaß zu machen. Er las vor und erläuterte, zeigte dem Mädchen, wie man die Datierungen nach dem Heiligenkalender in die aktuelle Zeitrechnung übertrug, half ihr beim Entziffern der schwierigen Worte und brachte ihr bei, wie die wichtigsten Kürzel und Abkürzungen aussahen. So gelangten sie bis zum Jahr 1570 . Tanja begann, stockend zu lesen.
» … soll der Henker verordent werden, die allda in … «
Kleinert ergänzte » … verhaft liegende … «
»Unholdin ziemblich … «
» … ziemblich peinlichen anzugreiffen, alls da Els Bucklerin geheissen.«
»Was soll denn jetzt das wieder heißen? Herr Kleinert?«
Der Archivar saß wie vom Donner gerührt. Die Frau, die der Kirche den Goldpokal gestiftet hatte! Das muss sie sein, dachte er, und jetzt ahnte er auch den Grund für die ominöse Schenkung.
»Is’ was?«
Tanja Böhm sah Kleinert ganz komisch an. Der schreckte aus seinen Gedanken hoch. »Äh, nein, nein, Fräulein Böhm. Nichts Wichtiges. Ich hab nur gerade was herausgefunden. Sagen Sie, hätten Sie etwas dagegen, wenn wir für heute Schluss machen würden? Es ist ja schon Mittag.«
Kleinert setzte sich mit dem Ordre-Buch an seinen Schreibtisch und begann aufgeregt, den Text noch einmal zu lesen. Unholdin – das bedeutete so viel wie Hexe. Es ging demnach um einen Fall von Hexerei. Der Henker hatte Befehl erhalten, Elisabeth Buckler »peinlich anzugreifen«, also zu foltern. Als Datum hierfür war der siebente August 1570 angesetzt. Mehr war dem kurzen Eintrag nicht zu entnehmen. Kleinert ging die anschließenden Einträge für die nächsten drei Jahre genau durch, fand aber nichts, was auf eine Hinrichtung oder die Verhängung einer Leibstrafe
hingewiesen hätte. Das konnte bedeuten, dass man die Bucklerin nach der Folter wieder freigelassen hatte.
Der Archivar holte sich eine Tasse Kaffee. Das Mittagessen hatte er völlig vergessen, obwohl ihm schon vor einer Stunde der Magen geknurrt hatte. Eine Freilassung also. Das ließ sich herausfinden. Wer damals im Gefängnis gesessen hatte, kam nicht heraus, bevor er nicht eine Erklärung unterschrieben hatte, in der er sich verpflichtete, sich bei niemandem für die erlittenen Unbilden zu rächen. Solche Erklärungen, »Urfehden« genannt, waren in Kulmbach in einem eigenen Band gesammelt worden. Wenn also diese Elisabeth Buckler aus dem Gefängnis freigekommen war, musste sich die von ihr unterschriebene Urfehde finden lassen.
Kleinert stellte das Ordre-Buch für Scharfrichter in den Temperierschrank zurück und griff sich einen großen braunen Folianten, der zwei Regale höher stand. Schon im Gehen fing er an zu blättern, und als er wieder vor seinem Schreibtisch stand, hatte er die betreffende Urfehde gefunden. Sie stammte vom 28 .September 1570 , und vor Begeisterung las er sie sich selber laut vor.
«Ich Elspeth Bucklerin von Culmbach Hebamm schwör vor Marthin Utzlein Stadtrichter und den zwen Burgermeistern zu got und den heiligen einen gelerten ayd, das ich solche gefencknus gegen unsern
gnedigen Herrn Markgrafen noch nyemands anders nit ahnden noch rechen soll und will. Ohn alles geferde.«
Der Archivar stieß einen kleinen Juchzer aus. Was für ein erfolgreicher Tag! Pfeifend ging er zu Geli Hufnagel ins Sekretariat, um ihr die freudige Nachricht zu überbringen.
Plassenburg, 21 .November 1553
Georg von Leuchtenberg erwachte mitten in der Nacht schweißgebadet. In seinem linken Bein stach es wie tausend Nadeln. Er kannte diesen Schmerz gut. Meistens kam er nachts oder beim Morgengrauen, begann mit einem leichten Kribbeln und steigerte sich dann
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