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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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zu fast unerträglicher Intensität. Beim ersten Mal hatte er geglaubt, er sei verrückt geworden. Das Bein war amputiert, es war unmöglich, da etwas zu spüren, wo einmal sein Knie, seine Waden, sein Fuß gewesen waren. Inzwischen hatte er sich an das seltsame Phänomen gewöhnt, das sich in regelmäßigen Abständen einstellte. Er hatte gelernt, dass der Schmerz nicht besser wurde, wenn er im Bett liegen blieb, dass er aufstehen und eine Zeit lang herumlaufen musste. Durch die Bewegung ließ das Stechen und Brennen für gewöhnlich nach und hörte nach
einer Weile ganz auf. Erst dann konnte er wieder weiterschlafen.
    Leuchtenberg stieß einen lautlosen Fluch aus, schlug die Laken und Decken zurück und setzte sich an der Bettkante auf. Vermaledeites Bein. Er zündete die dicke Wachskerze an, die er für solche Fälle in einer Wandnische neben seinem Bett stehen hatte, und schlüpfte in ein wollenes Hemd und eine lockere Pluderhose. Sein Holzbein ließ er an der Wand lehnen und griff sich stattdessen die beiden Krücken, deren untere Enden er extra für seine nächtlichen Ausflüge dick mit Lumpen umwickelt hatte. Schließlich wollte er niemanden stören, wenn er nachts damit durch das schlafende Hochschloss stakte. Er warf sich noch einen schweren Umhang aus Wolfsfellen um, denn es war bitterkalt. Dann öffnete er lautlos die Tür seiner Schlafkemenate und trat in den dunklen Gang hinaus.
     
    Die Nacht war hell, denn die Schneewolken hatten sich verzogen, und ein fast voller zunehmender Mond tauchte den Schlosshof in ein fahles Licht. Leuchtenberg sah den Wächter, der im flackernden Schein einer Pechfackel neben dem Oberen Tor Posten bezogen hatte und vor Kälte von einem Fuß auf den anderen hüpfte. Drüben auf dem Rehberg, wo die bundesständischen Truppen ihr Feldlager aufgeschlagen hatten, brannten mehrere große Feuer. Hoffentlich machte
die Kälte dem Feind recht zu schaffen! Der Hauptmann schwang seinen Beinstumpf grimmig ein paar Mal vor und zurück. Dann machte er sich auf seine gewohnte Runde.
     
    Nach einer halben Stunde waren die Nervenschmerzen in seinem Bein schon besser geworden und in ein kaum mehr spürbares Kribbeln übergegangen. In dem Maße, wie seine Beschwerden nachließen, wuchs seine Müdigkeit, und als Leuchtenberg kurz vor der Burgkapelle angelangt war, beschloss er, wieder umzukehren.
    Plötzlich hörte er etwas Seltsames. Er lauschte angespannt. Da war es wieder. Kein Zweifel, eine Männerstimme, die einen eigenartigen Singsang von sich gab. Und sie schien direkt aus der Kapelle zu kommen. Leuchtenberg ging leise zu der kleinen Holztür, die auf die Empore hinausführte, und öffnete sie geräuschlos.
     
    »Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis … «
    Die Kapelle war von Kerzenlicht hell erleuchtet. Kerzen flackerten an den Wänden, entlang den Bankreihen, auf dem Altar, auf dem hängenden Kronleuchter.
    Was ging hier vor? Georg von Leuchtenberg drückte sich an die dunkle Hinterwand der Empore,
um nicht gesehen zu werden. Ihm war mulmig, und er atmete flach, um nur ja kein Geräusch zu machen. Er sah den Schlosskaplan, ganz in schwarzem Ornat und mit einem Predigtbuch in der Hand. Tiefenthaler war blass, auf seiner Stirn glänzte es wie von Schweißtropfen, aber er rezitierte mit fester Stimme.
    »Absolve, Domine, animas omnium fidelium defunctorum ab omni vinculo delictorum … «
    Georg von Leuchtenberg ließ seinen Blick weiter durch die Kapelle schweifen. In den ersten Bankreihen saßen fünf in Kapuzenmäntel gehüllte Gestalten, die ab und zu in den Singsang des Pfarrers einfielen, wie es die Liturgie verlangte. Georg konnte die Gesichter nicht sehen, aber an Haltung und Figur glaubte er zumindest eine von ihnen zu erkennen, die abseits von den anderen Platz genommen hatte: die Markgräfin. Als sich eine der anderen Gestalten zur Seite drehte, konnte Georg anhand der weißen Haare, die unter der Kapuze vorlugten, den alten Groß von Trockau ausmachen.
    »Gott ist der Herr über Leben und Tod; ihn beten wir an. Nahe ist uns der Herr: Nur ein Hauch trennt Zeit von Ewigkeit. Bedenket den Tod und sträubet euch nicht, Leib und Leben preiszugeben. Aus der Tiefe rufen wir, Herr, zu dir.«
    »Aus der Tiefe rufen wir, Herr, zu dir«, wiederholte die Gemeinde murmelnd.
    »Die Nacht des Todes ist allen dunkel, wenn du, Herr, sie nicht erlösest. Des Menschen Tage sind wie Gras, er blüht wie die Blume des Feldes. Fährt der Wind darüber, ist sie

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