Die Markgräfin
vielen Kanzelauftritte aus. Er sprach langsam und deutlich und legte einen drohenden Unterton in seine Worte.
»Jeder, auch der übelste Verbrecher, hat ein Recht auf geistlichen Beistand in seiner Sterbestunde. Wer ihm dies verwehrt, macht sich der schlimmsten Sünde schuldig. Hier im Angesicht des Todes endet die Macht des Markgrafen, Soldat, und es beginnt die Herrschaft unseres Herrn Jesus Christus. Wer bist du, dich gegen die Gesetze des Allmächtigen aufzulehnen?«
Der zweite Wächter, ein kleines drahtiges Männchen mit dem Gesicht voller Narben, zuckte die Schultern und stieß seinen Kumpan an. »Lass ihn doch durch, was tut es denn?«
»Also gut, Pfaff, aber mach nicht zu lang. Wir wollen keinen Ärger.« Der erste Wächter zog einen Schlüssel aus seinem Wams und sperrte die Turmkammer auf.
Thiels Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Nur ein kleines pergamentverschlossenes Fenster auf einer Seite des Raums ließ das Tageslicht als milchigen Schimmer hereinfallen. Jakob Tiefenthaler lag auf einem niedrigen Spannbett, das man an der Wand aufgestellt hatte. Um seine Fußgelenke schlossen sich eiserne Kettenschellen. Soweit Thiel erkennen konnte, war er nicht misshandelt worden, nur das Priestergewand hatte man ihm ausgezogen
und ihn dafür in ein Hemd und eine strumpfähnliche dunkle Hose gesteckt.
Tiefenthaler hob den Kopf und setzte sich langsam auf. Die lockigen Haare hingen ihm in Strähnen ums Gesicht, seine Wangen wirkten eingefallen und bleich. Mehr denn je sah er an diesem Morgen aus wie die Idealgestalt des leidenden Christus, als die er damals – wie lange war das schon her? – die Kulmbacher Weiber fasziniert hatte.
»Schön, dass Ihr kommt, Bruder.« Seine Stimme klang fremd.
Thiel setzte sich neben ihn auf die Pritsche. Es war nicht das erste Mal, dass er einem zum Tod Verurteilten beistand, aber diesmal suchte er nach Worten und fand keine. Stumm legte er seine Hand auf die des anderen. Tiefenthaler weinte lautlos.
»Auch unser Herr Jesus hatte Angst vor dem Tod. ›Lass den Kelch an mir vorübergehen‹, hat er gefleht im Garten Gethsemane. Ihr braucht Euch Eurer Tränen nicht zu schämen, Jakob.«
»Nur dass sein Tod die Menschheit erlöste. Meiner dagegen ist die Strafe für Hoffart und Anmaßung. Für die Sünde der Ketzerei und für ein gebrochenes Gelübde. Ich habe den Tod verdient.«
Thiel schüttelte den Kopf. »Richtet nicht selbst über Euch, mein Freund. Richten darf nur einer, und seine Gnade ist grenzenlos. Darauf müsst Ihr vertrauen.«
»Was ist mit ihr?«
»Sie trägt Euer Kind; das ist ihr Schutz und Schirm. Bis zur Geburt kann ihr nichts geschehen.«
»Und dann?«
»Bis dahin vergeht noch Zeit. Wer weiß, was in ein paar Monaten ist, ob Albrecht bis dahin überhaupt noch lebt. Schließlich haben wir Krieg.«
Tiefenthaler senkte den Kopf. »Gott gebe, dass Ihr Recht habt.«
»Sie lässt Euch sagen, Ihr sollt auf sie warten.«
Der junge Kaplan lächelte. »Das werd ich, bei Gott und allen Heiligen. Sie war ein Geschenk des Himmels in meinem Leben, mein Bruder in Christo, durch sie hab ich einen Blick ins Paradies getan. Was auch kommt – ich bereue nichts, keinen Augenblick. Wir werden uns wiedersehen, das weiß ich. Aber bis dahin muss sie leben für unser Kind. Sagt ihr das, und dass ich sie auch über den Tod hinaus lieben werde. Und kümmert Euch um sie.«
»Das verspreche ich.«
»Und jetzt möchte ich beichten.«
Die beiden knieten gemeinsam nieder, doch bevor Tiefenthaler sein Sündenbekenntnis zu Ende gebracht hatte, kam der Wächter mit dem Narbengesicht herein und drängte Thiel zum Gehen.
»Schnell, Pfaff, die Zeit ist um. Es geht bald los.«
Thiel schlug hastig das Zeichen des Kreuzes und erteilte mit zitternder Stimme die Absolution. »Habt
Ihr noch einen letzten Wunsch, Jakob?« Er versuchte, den Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken.
Die Finger von Tiefenthalers rechter Hand gruben sich in seinen Arm. »Begrabt mich in geweihter Erde, mein Freund.«
Dann zog der Wächter Georg Thiel an der Soutane hinaus.
Vom Gang vor dem Frauenzimmer aus konnte man durch zwei spitzbogenförmige Öffnungen, die nur von einer schmalen Säule getrennt waren, in den Schlosshof blicken. Die Markgräfin stand seit dem Mittagsläuten unbeweglich an diesem Fenster und wartete, bewacht von zwei Landsknechten, die Befehl hatten, sie nicht aus den Augen zu lassen. Den Stuhl und den Becher Wein, den ihr Katharina und Susanna gebracht hatten,
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