Die Markgräfin
von einer Meersau, wenn du das nochmal machst, kommst du ins Gulasch!« Er zog sein Stofftaschentuch aus der Hose und tupfte die Bescherung auf.
»Du darfst nicht so mit dem Willi schimpfen«, protestierte seine Tochter aufgebracht, »jeder muss mal klein.« Sie drehte sich um und zog beleidigt ab. »Komm, Willi, wir gehen. Hab keine Angst, der Papa hat heut bloß seinen schlechten Tag.«
Haubold sank in seinen Bürosessel zurück und musste über sich selber lachen. Dann zog er den Brief aus
dem Umschlag. Er las das Anschreiben, in dem sich Weinzierl für die verspätete Zusendung entschuldigte, und warf es gleich in den Papierkorb. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit dem Gutachten.
Heribert Stüwer MdH
Reichenbachstraße 18
80462 München
Heraldische Expertise
27 . 11 . 2002
Bei dem einem Kulmbacher Skelettfund zugeordneten Ring handelt es sich um einen silbernen Siegelring des Markgrafen Albrecht Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach.
Dass der Ring in Gebrauch war, steht außer Zweifel, da sich Spuren von Siegelwachs nach der Primär-Reinigung noch deutlich sichtbar in den Ritzen der Umschrift fanden.
Zu sehen ist auf der runden Siegelfläche das auch auf Münzen übliche Blumenkreuz mit vier Wappenschildern. In den Winkeln rechts Schlesien (vier Quadrate) und Burggraftum Nürnberg (Löwe). In den Winkeln links Brandenburg (Adler) und Zollern (Greif). In der Mitte des Blumenkreuzes der berühmte »Brackenkopf«.
Den Brackenkopf führten urspr. die Herren von Regensberg im Gebiet des Bistums Konstanz als Helmzeichen. Luthold von Regensberg verkaufte es 1317 für 36 Mark Silber an den Burggrafen Friedrich IV ., einen der Vorfahren des Markgrafen Albrecht Alkibiades. Die Verwendung des Brackenkopfes besonders auf Münzen ist seither nachweisbar. Letztmalig erscheint der Brackenkopf 1541 auf markgräflichen Goldgulden. Nach dem Tod der Brüder Georg (genannt der Fromme) und Albrecht Alkibiades von Brandenburg wurde er nicht mehr verwendet.
Umschrift:
ALBR + ALCI + MARCH + BRAN +
(Albrecht Alcibiades Markgraf von Brandenburg)
SI DEVS PRONOBIS QVIS CONTRA NOS
(Wenn Gott für uns ist, wer sollte gegen uns sein)
Es dürfte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um das persönliche Siegel des Markgrafen Albrecht Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach handeln.
Mit freundlichen Grüßen
Heribert Stüwer
(wiss. Mitarbeiter der Heraldikervereinigung Herold,
Berlin)
Heiliger Bimbam, dachte Haubold. Ich kann doch unmöglich die Leiche des Markgrafen Albrecht Alkibiades höchstpersönlich da drunten entdeckt haben. Und das auch noch mit bloß einem Bein!
Er rief Kleinert an.
Plassenburg, 20 .Juni 1554
Der Monat Juni verwöhnte die darbenden Menschen auf der belagerten Burg mit wunderbar warmem Frühsommerwetter. Der Schlamm in den Vorhöfen trocknete, und die Nächte waren so mild, dass wenigstens das Frieren ein Ende hatte. Und nicht nur die Sonne hatte die Stimmung der Burgbesatzung vorübergehend gebessert. Vor zwei Wochen war endlich ein Geldbote des Markgrafen durchgekommen und hatte dreitausend französische Sonnenkronen mitgebracht – das Lösegeld für den Herzog von Aumale, den Albrecht vor einigen Jahren gefangen genommen und jetzt ausgetauscht hatte. Das Gold war sofort in der Hofstube an die Landsknechte verteilt worden und hatte in letzter Minute verhindert, dass die streikenden Söldner die Verteidigung der Burg verweigerten. Seitdem saßen sie wieder mit stoischer Ruhe auf ihren Plätzen in den Wehren und erwiderten das Feuer der feindlichen Kanonen auf dem Rehberg und
der Buchberghöhe. Die Gefahr, wegen einer Meuterei der Soldaten vorzeitig aufgeben zu müssen, war zunächst gebannt.
Dennoch brachte die Geldsendung des Markgrafen der Burg nur einen kurzen Aufschub. Die Kapitulation der Plassenburg stand kurz bevor. Hunger, Durst und Krankheiten hatten neben dem ständigen Beschuss das ihre getan. Die Vorräte waren so gut wie aufgebraucht; das Wasser wurde wegen der anhaltenden Trockenheit immer knapper. Die Menschen waren ausgemergelt und zermürbt, viele waren schon gestorben, krank oder verletzt. Sie litten unter dem unsäglichen Dreck auf der Burg. Schon dreimal hatte man an neuen Plätzen Latrinen graben und die alten wegen Überfüllung zuschütten müssen. Der Gestank wurde immer unerträglicher. Myriaden von Mücken schwirrten in dunklen Wolken und ließen sich auf Fäkalien und Menschen nieder. Es gab kaum jemanden, der noch nicht von Durchfällen oder fiebrigen
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