Die Markgräfin
des Schicksals, dass es jetzt zwei Kinder waren, deren Tod der Markgraf auf sein Gewissen laden würde. Wut und Mitleid stiegen in ihm auf. Und dann kam ihm ein Gedanke.
»Ja, schaut nur, es sind zwei geworden!« Barbara war aufgewacht. »Es wär mir eine Freude, wenn Ihr sie taufen würdet, Hochwürden. Als Freund und Stellvertreter ihres leiblichen Vaters, Gott sei ihm gnädig. Heut wär ein glücklicher Tag für ihn gewesen.«
Die Erinnerung trieb Barbara die Tränen in die Augen. Sie hatte die Schwangerschaft mit stoischer Ruhe überstanden, ohne Vorfreude oder ungeduldige Erwartungen; schließlich hatte ihr Bruder Albrecht mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig gelassen hatte, erklärt, dass ihr Leben nur bis zur Geburt des Kindes geschont würde und dass auch das Kind nicht am Leben bleiben dürfte. Manchmal hatte sie nicht mehr gewusst, ob es überhaupt Sinn hatte, das Kind auszutragen, oder ob sie sich nicht vor der Zeit aus dem Fenster ihrer Kemenate stürzen sollte. Doch Thiel, der ihr in der schlimmen Zeit ein treuer Freund geworden war, hatte sie davon abgehalten – solange noch ein Funken Hoffnung war, hatte
er argumentiert, musste sie am Leben bleiben. Und tatsächlich hatte sie beim Anblick der neugeborenen Zwillinge ein Glück empfunden, das sie für vielen Kummer entschädigte, wenigstens für kurze Zeit. Und wenn auch jetzt wieder die Angst und die Ungewissheit hinzukamen – eins war jedenfalls wichtig: Die Kinder mussten im christlichen Glauben getauft werden. Wenn sie schon Albrecht zum Opfer fallen mussten, dann wenigstens nicht als seelenlose Heiden. Dann blieb ihnen immerhin das Himmelreich, wo sich ihr Vater ihrer annehmen würde.
Thiel hatte inzwischen ein Fläschchen mit geweihtem Wasser entkorkt. Er nahm eines der schlafenden Kinder aus der Wiege – es war der Erstgeborene.
»Effata«, murmelte er, »öffne dich, um das Wort Gottes zu vernehmen und den Glauben in dich eindringen zu lassen. Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Dein Name soll sein … «, fragend schaute er zu Barbara hinüber.
Sie flüsterte: »Heinrich, nach meinem lieben Ehemann, dem letzten Herzog von Glogau.«
» … Heinrich, gelobt sei Jesus Christus.« Er benetzte seinen Mittelfinger mit Weihwasser und malte ein Kreuz auf die Stirn des Kindes. Der Bub fing an, hungrig zu schmatzen und greinte leise.
Der zweite Säugling schrie und strampelte schon, als ihn Thiel auf den Arm nahm.
»Ich will, dass er den Namen seines Vaters trägt, Hochwürden.« Die Markgräfin nahm derweil das erste Kind in Empfang und legte es an ihre Brust.
Der Kaplan taufte auch den zweiten Säugling, diesmal auf den Namen Jakob. Danach setzte er sich zu Barbara an den Bettrand.
»Auf ein Wort, Liebden, wenn Ihr gestattet?« Die Markgräfin nickte, und er fuhr fort.
»Dies sollte ein glücklicher Tag für Euch sein, Euer fürstliche Gnaden, und ist’s doch nicht. Ich sehe an Eurem Gesicht, dass auch Ihr an das Schreckliche denkt, was Euer Bruder, Gott straf ihn, verheißen hat. Wir alle haben gehofft, dass der Markgraf in der Zwischenzeit schon auf der Flucht sei oder in der Schlacht gefallen, und dass sich die Dinge dadurch zum Guten wenden … « Er zog ein Schnäuztuch aus dem Ärmel seiner Soutane und wischte sich damit umständlich die Stirn. Barbara schwieg, während die Zwillinge an ihrer Brust nuckelten.
»Liebden, ich glaube, wir haben nicht viele Möglichkeiten. An Flucht ist nicht zu denken und auf Gnade nicht zu hoffen, das wisst Ihr selber. Was mit Euch geschieht, muss in Gottes Hand bleiben. Und mit einem Eurer Söhne ...«
Die Markgräfin sah ihn aufmerksam mit ihren hellen Augen an. »Ihr denkt an das Gleiche wie ich, Vater Thiel. Wenigstens einer meiner Söhne könnte am Leben bleiben. Niemand außer meinen engsten
Vertrauten und der Hebamme weiß, dass heute zwei Kinder zur Welt gekommen sind. Wir könnten also versuchen, es zu verheimlichen. Ins Frauenzimmer kommt niemand hinein, und das Schweigen des Wächters dürfte für ein paar Gulden wohlfeil sein. Wenn wir es schaffen, dass der Hauptmann nichts von den Zwillingen erfährt, könnte es gelingen.«
Thiel atmete tief durch. »Wir müssen es versuchen.«
Die Markgräfin ergriff seine Hand. »Ihr seid ein wahrer Freund. Geht und erzählt unseren Plan den anderen. Susanna soll mit dem Wächter reden, sie weiß, wo das ersparte Geld aufbewahrt ist.« Sie schloss die Augen und spürte das Gewicht ihrer zwei
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