Die Markgräfin
Krämpfen geplagt wurde. Alle ersehnten das Ende der Belagerung und hatten doch panische Angst davor – das schreckliche Ende von Kulmbach stand vielen noch allzu deutlich vor Augen.
Georg von Leuchtenberg lag am frühen Morgen des 20 .Juni 1554 mit offenen Augen im Bett und grübelte. Auch er war psychisch und physisch am Ende. Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, und jetzt in
diesem Moment fasste er einen Entschluss: Es war so weit. Er hatte alles getan, was er konnte, um die Burg zu halten. Wie er die Dinge drehte und wendete – ihm blieb nur noch, beim Markgrafen die Genehmigung zur Kapitulation einzuholen. Es war sinnlos weiterzumachen. Der Hauptmann tat einen resignierten Atemzug, setzte sich auf und schnallte sein Holzbein um. Er sah in den halb blinden Wandspiegel. Sein Gesicht, noch vor einem halben Jahr aufgedunsen vom Wein, wirkte grau und eingefallen unter dem blonden Haarschopf. Er hatte seit fast zwei Monaten notgedrungen keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt, was ihm in den ersten Wochen starke körperliche Entzugserscheinungen, Albträume und Schweißausbrüche beschert hatte. Jetzt ging es ihm wieder leidlich gut. Sein Kopf war klar wie eh und je – nur manchmal ließ die Konzentration etwas nach. Er setzte sich ächzend an den Tisch, nahm ein frisches Pergament und tauchte die Feder ins Tintenfass. Es musste endlich getan werden.
Noch während er schrieb, klickte es in der Paneelwand hinter ihm. Die Täfelung bewegte sich und sprang ein Stückchen auf. Von außen schob und drückte jemand dagegen, doch offensichtlich klemmte der Öffnungsmechanismus.
»Himmel, Arsch und Zwirn beieinander! Georg, bist du da drin?« Es war Albrechts Stimme.
Der Hauptmann sprang von seinem Hocker hoch
und packte mit an. Gemeinsam gelang es ihnen, die Holzverschalung so weit aufzudrücken, dass der Markgraf durchschlüpfen konnte. Dann lagen sich die beiden schwer atmend in den Armen.
Schließlich hielt Georg den Markgrafen ein Stückchen von sich weg und erschrak. Albrecht war aschfahl im Gesicht. Er hatte sich den Bart bis auf einige Stoppeln abrasiert, und so sah Georg, wie seine Lippen zitterten. Eine kaum verheilte Schnittwunde zog sich von der Nasenwurzel bis in den Haaransatz hinein. Seine Kleidung war blutbefleckt, und um den Oberarm trug er einen schmutzigen Verband. Ein Augenlid hing herab.
»Mein Gott, Albrecht, was ist los? Bist du verletzt? Wie kommst du hierher? Ich dachte, du bist noch in Schweinfurt.«
»Schweinfurt ist gefallen.« Albrecht ließ sich erschöpft in einen Sessel sinken. »Vor zehn Tagen schon. Die Stadt ist bis auf die Grundmauern abgebrannt.« Er vergrub das Gesicht in den Händen. »Wir sind anschließend in Eilmärschen mainabwärts gezogen und wollten Kitzingen erreichen, wo wir uns wieder hätten verschanzen können. Aber sie haben uns am Eulenberg bei Schwarzach gestellt.« Dankbar nahm er den Becher Wasser, den der Landgraf ihm anbot, und trank gierig.
»Es ist aus und vorbei, Georg.« Er sah den Landgrafen mit trüben Augen an. »Die Schlacht war eine
Katastrophe. Nur das nackte Leben ist mir geblieben, ein Pferd und das, was ich am Leib trage. Ich bin zum Bettler geworden. Mit ein paar Getreuen hab ich mich erst bis Uffenheim und dann bis hierher durchgeschlagen. Sogar den Bart hab ich lassen müssen, damit uns bloß keiner erkennt.« Er lachte leise und verzweifelt in sich hinein.
Georg von Leuchtenberg legte dem Freund die Hände auf beide Schultern. Seine Stimme wurde sanft.
»Es tut mir Leid, Albrecht – aber auch ich hab schlechte Nachrichten. Wenn du Sicherheit suchst, dann bist du vergebens hergekommen. Ich wollte dir gerade schreiben, dass wir kapitulieren müssen. Die Vorräte sind zu Ende. Es ist alles verloren. Vielleicht solltest du versuchen … «
»Ich hab hier noch etwas zu erledigen, weißt du nicht mehr?« Der Markgraf unterbrach ihn unwillig und schüttelte die Hände von seinen Schultern. »Eigentlich hatte ich gedacht, du übernimmst das … «
Der Hauptmann wusste, was gemeint war. »Albrecht, ich … kannst du nicht Gnade … ich meine … sie ist deine Schwester … «
Der Markgraf schnitt ihm mit einer knappen Handbewegung das Wort ab.
»Es ist nicht wegen der Verschwörung und dem Mortbeten allein.«
Er streckte den Arm aus und hielt dem Hauptmann seine geschlossene Faust mit dem schweren Siegelring unter die Nase. »Siehst du das, Georg?«
»Was?«
»Den Ring.« Er tippte auf eines der Wappen. »Hier: Schlesien. Mein
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