Die Markgräfin
Kinder in den Armen. Großer Gott, dachte sie, ich bitte dich, erspar mir, eines Tages zwischen meinen beiden Söhnen wählen zu müssen.
Als sich Thiel verabschiedet hatte, ging die Tür auf, und Lorenzo Neri stürmte herein. In der Hand trug er eine selbst geschnitzte Wiege aus Holzteilen, die er sich wegen des Holzmangels überall hatte ergaunern und erstehlen müssen. Er sank neben dem Bett der Markgräfin in die Knie und lachte übers ganze Gesicht.
»Ah, che bella piccola mammina! Tutto va bene, si? E i bimbi, madonna mia, incredibile! Vieni, amore, komm zu zio Renzo.« Er nahm einen der Zwillinge
und wiegte ihn liebevoll. Die winzige Faust des kleinen Jakob schloss sich um seinen Daumen. Die Markgräfin lächelte wehmütig, und Kätha küsste Lorenzo sanft aufs Haar. Einen besseren Vater für ihre zukünftigen Kinder konnte sie sich nicht denken. Er war vor der Geburt aufgeregter gewesen als sie alle miteinander, und jetzt war er der Einzige, der wirklich glücklich schien. Kätha liebte ihn dafür umso mehr.
Die Bucklerin blieb in den nächsten Tagen bei der Wöchnerin im Frauenzimmer. Die Kinder, auch wenn sie eine Woche zu früh zur Welt gekommen waren, erwiesen sich als gesund und munter, und Barbara erholte sich gut von den Strapazen der Geburt. Nur der Milchfluss wollte sich nicht einstellen, obwohl die Hebamme einen bitteren Kräutertrunk nach dem anderen braute. Am zweiten Tag schließlich, als die zwei Buben vor Hunger immer erbärmlicher schrieen, war die Bucklerin plötzlich verschwunden. Nach einer Stunde erschien sie wieder, mit einer dürren, weißen Ziege im Schlepptau.
»Da kommst rein, du bockiges Mistvieh, stell dich nicht blöd, ksch, ksch!« Sie schob und drückte das widerspenstige Tier in die Kemenate hinein. Die aufgeregte Ziege meckerte laut ihren Protest, ließ sich aber dann doch in einer Ecke anbinden. Kätha flitzte sofort nach einem Töpfchen, und die Bucklerin molk mit geübten Griffen die süße Ziegenmilch aus dem
vollen Euter. Derweil hatte Susanna von irgendwo her einen alten ledernen Handschuh organisiert und einen Finger davon an der Spitze durchlöchert. Die Frauen schütteten die euterwarme Milch in eine kleine tönerne Karaffe und stülpten den Handschuh fest darüber. Dann boten sie das ungewohnte Ding dem ersten der Zwillinge an. Heinrichs Mund ertastete die ungewohnte Zitze, und er lehnte sie mit Gebrüll ab. Erst als die Bucklerin die ersten Milchtropfen herausdrückte und damit seine Lippen betupfte, begann er, gierig zu saugen. Dann kam Jakob an die Reihe, und auch er nahm die Ersatznahrung an.
»Das wär geschafft.« Die Bucklerin wandte sich an Barbara, die auf einem Sessel am Fenster saß. »Ich werd jetzt wohl nicht mehr gebraucht, wenn’s beliebt. Den Rest schafft Ihr mit Euren beiden Mädchen auch ohne mich. Und wenn Ihr Rat braucht, wisst Ihr ja, wo Ihr mich finden könnt.«
Die Markgräfin nickte. »Ich dank Euch von Herzen, Bucklerin. Ihr habt viel für uns getan, ich wollt, ich könnt’s Euch recht vergelten. Aber bevor Ihr geht, hab ich noch ein Ansinnen an Euch. Ihr habt mitbekommen, wie es um mich und die Kinder steht, wenn mein Bruder von der Geburt erfährt?«
Die Hebamme knurrte und bekreuzigte sich. »Der Markgraf ist ein böser Mensch, der Teufel soll ihn holen.«
Barbara fuhr fort. »Deshalb, hört gut zu, Bucklerin,
deshalb darf keiner wissen, dass es zwei Kinder sind. Dann könnte eines überleben. Hier habt etwas für Eure Dienste und Euer Schweigen.« Sie hielt der Hebamme etwas Glänzendes hin.
»Wollt Ihr mich beleidigen?« Die Bucklerin winkte stolz ab. »Dass ich wegen der Zwillinge das Maul halt, ist ja wohl selbstverständlich. Das müsst Ihr mir nicht bezahlen. Wenn Ihr mir Gutes tun wollt, Liebden, dann schickt mir hin und wieder von Eurem Essen. Das ist mir Bezahlung genug.«
Die Markgräfin lächelte. »Ihr seid eine gute Frau und habt das Herz auf dem rechten Fleck. Für Euer Essen werd ich sorgen, solang ich selber was hab, das versprech ich. Nehmt den Pokal trotzdem. Ihr habt zu Kulmbach alles verloren. Vielleicht hilft’s Euch später, etwas Neues aufzubauen.«
Die Hebamme zögerte kurz. Einer ihrer unerfüllbaren Träume war bisher gewesen, sich im Alter in einem Spital einzukaufen. Allein stehende Frauen, die nicht mehr arbeiten konnten, hatten keinen angenehmen Lebensabend zu erwarten. Jetzt eröffnete sich der Bucklerin die Aussicht auf ein umsorgtes Alter – falls sie die Belagerung überlebte. Sie
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