Die Markgräfin
Frau und den beiden Töchtern am Tisch zu sitzen.
Abschließend lenkte Haubold seine Schritte in Richtung der Markgrafenzimmer, wo die Restauratoren sicher schon längst Feierabend gemacht hatten. Der Kastellan besah sich das Ergebnis mühevoller Kleinarbeit. An der Stirnseite des ersten Markgrafenzimmers erstand durch die Freilegungsarbeiten gerade ein riesiges Schlachtengemälde, das den Markgrafen
Albrecht Alkibiades zu Pferde darstellte, wie er gerade auf einen Söldnerhaufen einschlug.
Der Alkibiades war in voller Rüstung abgebildet, nur auf den Helm hatte der Maler verzichtet. Dadurch konnte er das Gesicht des Markgrafen porträtieren, dessen dominantestes Merkmal ein langer, vom vielen Flechten welliger und auf der Brust spitz zulaufender Bart war, der seinen Träger älter machte, als er vermutlich zu diesem Zeitpunkt war. Die Wangen wirkten eingefallen, die Nase scharfkantig, und unter dünnen, halbmondförmigen Brauen blickten kleine, dunkle Augen hervor, die jeden Gegner im Nu zu erfassen schienen. Ringsum war Schlachtengetümmel dargestellt, schräg im Hintergrund offensichtlich die Burg oder Stadt, um die gekämpft wurde. Unter dem Gemälde stand in deutlich lesbaren Buchstaben:
» ALBERTUS IV . Bellator. Markgraf. Brandenb. Martis Lacertus atqu. Turbo Sortis. Ein Welt-berühmbter Krieges-Held.«
»Ganz ordentlich gemalt«, dachte sich Haubold, »da wird sich der Weinzierl freuen.«
Während Haubold seinen Blick über einzelne Details schweifen ließ, fiel ihm eine Frauengestalt auf. Der Kastellan schüttelte leicht den Kopf, schürzte die Lippen und sog laut Luft durch die Nase ein. Ein Frauenmotiv in einem Kriegs- und Heldengemälde? Das war in der Tat ungewöhnlich.
Haubold vergaß für einen Moment sein bevorstehendes
Abendessen. Er bemerkte neben dem großen Kamin einen Stuhl, den die Handwerker als Ablage für verschiedene Pinsel und Stifte benutzt hatten, räumte ihn leer und zog ihn vor das Wandgemälde. Mit einiger Anstrengung wuchtete er seine zweieinhalb Zentner auf den Stuhl, der bedenklich wackelte, und brachte seine Nase dicht an das Gemälde heran.
Tatsächlich: Auf einem Mauersöller war deutlich eine grün gekleidete weibliche Gestalt zu erkennen, barhäuptig und mit dunklen, wehenden Haaren. Gesicht und Halspartie waren wegen eines großen gelblichen Stockflecks nur schlecht zu erkennen. Die Gestalt beobachtete offensichtlich das unter ihr wogende Kampfgeschehen, die linke Hand auf die Mauer gestützt. Haubold fiel auf, dass der kleine Finger seltsam verkrümmt aussah und dass diese Hand von einem Ring mit roten Steinen geziert wurde.
»Alkibiades, alter Schwerenöter«, schmunzelte der Kastellan, »da hast du wohl mit der Stadt noch eine andere Eroberung gemacht und dein kleines Abenteuer hier an der Wand verewigen lassen, ts ts ts.«
Haubold kletterte vorsichtig von seinem Stuhl und wollte sich schon zufrieden in Richtung Heimat aufmachen – aber halt, er konnte sich nun doch nicht verkneifen, nach einer Signatur des Gemäldes zu suchen. Doch alles, was er fand, war ein verschlungenes Initial in der rechten unteren Ecke, das so schlecht
erhalten war, dass es alles Mögliche bedeuten konnte: CM oder LM oder LN .
»Sagt mir nichts«, murmelte der Kastellan.
Haubold beendete eilig seinen Rundgang und kam gerade noch rechtzeitig zum Abendessen in die Kastellanswohnung.
Später, während seine Frau die Mädchen ins Bett brachte, setzte sich Haubold mit einer Flasche Bier an den Schreibtisch und überlegte. Albrecht Alkibiades also. Der Kastellan griff nach dem Standardwerk über die Hohenzollern von Günther Schumann und blätterte.
»Da haben wir ihn ja! Albrecht, genannt Alkibiades, Markgraf von Brandenburg-Kulmbach 1541 – 1554 . Mal sehen, ob sich da was über einen Kindsmord finden lässt.«
Er überflog die Seiten.
» … trat er als Reiterführer in kaiserliche Dienste und folgte Karl V. in den französischen Krieg. Gilt als Erfinder der so genannten Pistolenreiter als strategische Eingreiftruppe in der Schlacht. Der Waffendienst bot nicht nur die Sanierung seines überschuldeten Fürstentums durch Subsidien, sondern auch Ruhm und Ehre nebst Karrieremöglichkeiten auf Reichsebene.
… Doch Albrechts Rechnung ging nicht auf – des Kaisers Zahlungsmoral war schlecht, und statt Gewinn machte der Markgraf nur neue Schulden …
… Die einzigen Einkünfte, die in schöner Regelmäßigkeit in Albrechts Kasse flossen, waren die Steuern aus den schlesischen Gütern,
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