Die Mars-Chroniken
Blätter, in den Tod, der die Toten zu dürren Flocken hatte werden lassen, in ein Spiel von Jungen, in deren Mägen Orangensaft gurgelte.
Und dann ins nächste Haus, in siebzehn andere Häuser, wobei sie keinen Augenblick vergaßen, daß die Städte durch Feuerwehrleute von ihren Schrecken befreit wurden, von antiseptischen Kriegern mit Schaufeln und Eimern, die die ebenholzschwarzen Haut- und Fleischreste und die pfefferminzfarbenen Knochen umgruben und langsam, aber sicher das Entsetzliche vom Normalen trennten; sie mußten ihr Spiel also intensiv genießen, die Jungen, denn die Feuerwehr würde bald hier sein!
Schweißüberströmt verschlangen sie ihre letzten Brote. Nach einem letzten Tritt, einem letzten schrägen Konzert, einer letzten herbstlichen Jagd durch die Blätterhaufen gingen sie nach Hause.
Die Mütter suchten ihre Schuhe ab nach schwarzen Flocken, die – wenn sie gefunden wurden – zu kochendheißen Desinfektionsbädern und väterlichen Prügeln führten.
Gegen Ende des Jahres hatten die Feuerwehrleute alle Herbstblätter und weißen Xylophone fortgeharkt und begraben, und mit dem Jux war es aus.
Juni 2003: Mit dem Kopf in den Wolken
»Hast du schon gehört?«
»Was denn?«
»Die Nigger, die Nigger!«
»Was ist mit denen?«
»Sie verschwinden, verziehen sich, hauen ab – hast du’s nicht gehört?«
»Was meinst du damit, ‘sie hauen ab? Wie war denn das möglich?«
»Sie können’s, sie schaffen’s, sie tun es schon!«
»Nur ein paar?«
»Jeder einzelne verdammte Nigger hier im Süden!«
»Nein!«
»Doch!«
»Das muß ich sehen. Ich glaub’s einfach nicht. Wohin ziehen sie denn – nach Afrika?«
Schweigen.
»Auf den Mars.«
»Du meinst den Planeten Mars?«
»Ja.«
Die Männer standen im heißen Schatten der Veranda vor dem Eisenwarengeschäft. Einer unterbrach sein Pfeifenanzünden. Ein anderer spuckte in den heißen Staub.
»Sie können doch nicht einfach abhauen, können sie nicht.«
»Sie tun’s aber.«
»Woher hast du das?«
»Man hört’s überall, wurde gerade vor einer Minute im Radio durchgegeben.«
Die Männer, eine Reihe staubiger Standbilder, gerieten in Bewegung.
Samuel Teece, der Besitzer des Eisenwarenladens, lachte unsicher. »Hab mich schon gewundert, was mit Silly ist. Ich hab ihn vor einer Stunde mit dem Fahrrad weggeschickt. Er ist von Mrs. Bordmann noch nicht wieder zurück. Meinst du, der schwarze Dummkopf ist geradewegs zum Mars geradelt?«
Die Männer schnaubten durch die Nase. »Ich kann nur sagen, daß er gut daran täte, mir mein Fahrrad zurückzubringen. Klauereien laß ich mir von keinem gefallen, bei Gott!«
»Hört doch mal!«
Im Umdrehen stießen die Männer ungeschickt zusammen.
Weit hinten schien ein Deich gebrochen. Eine warme schwarze Flut schwemmte heran und umschloß die Stadt. Zwischen den blendend weißen Ufern der Läden, zwischen dem Schweigen der Bäume strömte es schwarz dahin. Der Fluß wogte zäh wie Zuckersirup über die zimtfarben staubige Straße. Er drang langsam vor, sehr langsam, und er bestand aus Männern und Frauen und Pferden und bellenden Hunden und aus kleinen Jungen und Mädchen. Und die Kehlen der Menschen, die ein Teil der Flut waren, machten das Geräusch eines Flusses – eines sommerlichen Flusses, der unaufhaltsam dahingurgelte und strömte. Und in dem langsamen, schwarzen Strom, der den weißen Schimmer des Tages durchschnitt, blitzten muntere weiße Punkte auf, Augen, elfenbeinfarbene Augen, die nach vorn gerichtet waren oder schnelle Blicke zur Seite warfen, während der Fluß, der lange und endlose Fluß, aus der alten Richtung in ein neues Bett einschwenkte. Aus den verschiedensten Zuflüssen gespeist, waren Rinnsale und Bäche aus Farbe und Bewegung entstanden, die zusammentrafen und zu einem großen Fluß wurden. Und in der Flut schwammen zahlreiche Dinge mit: alte, träge schlagende Standuhren, emsig tickende Küchenuhren, gackernde Hühner in Käfigen, schreiende Säuglinge; in den großen Wirbeln fanden sich zudem Esel und Katzen und dann und wann ein großer Berg geplatzter Matratzen mit hervorstehenden Sprungfedern und herausquellenden Füllungen, dazu Kästen und eichengerahmte Großvaterbilder – der Fluß schwemmte alles vorbei, während die Männer wie nervöse Jagdhunde auf der Veranda des Eisenwarenladens saßen, mit verkrampften leeren Händen. Es war zu spät, sich gegen die Flut zu stemmen.
Samuel Teece traute seinen Augen nicht. »Teufel, wie lassen die sich
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