Die Marseille-Connection
allmorgendlich im Spiegel. Ein paar Tage später sprach er ihn in einem kleinen Restaurant, in dem die Wirtschaftsstudenten häufig aßen, an.
»Er hat schon alles entschieden, oder?«, fragte er ihn ohne weitere Umstände.
Sosim ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Wen meinst du?«
»Deinen Papa und deine Zukunft.«
Der Russe schüttelte den Kopf. »Ich bin eine Art Waise.«
»Du Glücklicher. Aber wer zahlt dann dein Studium, damit du eine große Nummer in der russischen Finanzwirtschaft wirst?«
»Das geht dich nichts an.«
»Da irrst du dich, ich bin Sunil Banerjee, der unwiderstehliche Parse aus Leeds, und wir haben etwas gemeinsam.«
»Ach ja, nämlich?«
»Ein vorbestimmtes Schicksal.«
Eine eingehende SMS holte ihn aus den Erinnerungen. Die Nachricht bestätigte ein Rendezvous mit einer attraktiven jungen Frau in einem bekannten Hotel in der City. Er zog eine Schublade auf, entnahm ihr einige große Banknoten und steckte sie in sein Portemonnaie. Vicky wollte in bar bezahlt werden. Sie war ein altmodisches Mädchen.
43° 17' N 5° 22' O
Das Flugzeug landete kurz vor Mitternacht, nach einem Flug, der die Hölle gewesen war. Esteban Garrincha hatte schon darüber reden gehört, aber er hätte sich nicht im entferntesten vorstellen können, was es bedeutete, diese beschissenen Koksbeutelchen im Darm zu haben. Die Angst, eines davon könnte platzen, zerriss ihm fast die Eingeweide, und der Stuhldrang war fast nicht auszuhalten. Einerseits konnte er sich nicht erlauben, etwas zu essen oder zu trinken, andererseits musste er so tun als ob, denn die Stewardessen meldeten Passagiere, die Essen und Trinken verweigerten, den Bullen.
Beim Aussteigen memorisierte Garrincha die Adresse, die Mendes ihm sich zu merken befohlen hatte. Während der langen Stunden des Fluges hatte er versucht, sich keine Gedanken über sein zukünftiges Leben als Illegaler in Frankreich zu machen. Er wusste nichts über das Land, er kannte kein einziges Wort der Landessprache. Nun gut, eines nach dem anderen, hatte er gedacht. Erst einmal die Ladung loswerden, dann sich dem harten Überlebenskampf zuwenden. Jedenfalls, wenn sie ihn am Zoll nicht erwischten.
Die Papiere, die Mendes ihm gegeben hatte, waren einem honduranischen Touristen namens Jorge Lima gestohlen worden. Der Typ, der sein Foto eingesetzt hatte, verstand sich auf sein Geschäft. Es konnte klappen.
Der Polizist musterte den Pass, als handele es sich um einen Text aus der Antike.
»Zweck des Besuchs?«, fragte er, während er die Konsistenz das Papiers prüfte.
»Tourismus.«
Der Beamte stempelte das Dokument sorgfältig ab und warf noch einen letzten Blick darauf. »Ich wünsche einen schönen Aufenthalt.«
Garrincha schnupperte in die Luft, bevor er ins Taxi stieg. Roch sie anders als in Ciudad del Este? Ja, tatsächlich. Er zog die vier Fünfzig-Euro-Noten aus der Tasche, die Orlando ihm gegeben hatte, um die Fahrt zu bezahlen, und zeigte sie dem Fahrer. Ein Nordafrikaner. Von denen lebten derart viele in seiner Heimatstadt, dass er sie wiedererkannte. Er musste die Adresse dreimal wiederholen. Das Arschloch tat so, als würde er ihn nicht verstehen.
Ein alter Peugeot 205 stand vor dem Hotel unterster Kategorie. Die Scheinwerfer eines vorüberfahrenden Wagens beleuchteten die Kabine, in der eine Frau rauchend auf dem Fahrersitz saß. Sie war rundlich, zwischen fünfundvierzig und fünfzig Jahre alt, einen Meter fünfundsechzig groß, blondes, sehr kurz geschnittenes Haar, das ein unanmutiges Gesicht mit tiefen Falten an den Mundwinkeln bloßlegte. In dem veralteten Kassettenrekorder lief ein Band mit Johnny Hallyday; gerade sang er »Que je t’aime«.
In einem unweit geparkten Minivan hörten drei Männer, Brainard, Delpech und Tarpin, französischen Hiphop und machten dazu dreckige Witze.
»… Also bremse ich und gehe nachsehen, was das war«, erzählte Brainard. »Großer Fehler. Etwas fällt auf meinen Kopf, dann auf die Windschutzscheibe. Ich seh’s mir an: ein riesiger schwarzer Dildo, dick wie eine Bierflasche. Und auf einmal geht ein ganzer Dildo-Regen auf mich nieder. Kein Witz. Als hätte Gott auf Marseille geblickt, gesehen, was hierläuft, und gesagt: ›Keine Heuschrecken für euch. Ich schicke euch eine Plage von großen schwarzen Schwänzen …‹«
»Und wo kamen die hier?«, fragte Delpech, der sich vor Lachen krümmte.
»Aus einem von den Fenstern da oben. Da stand ein Schwuler und schmiss den Schweinkram von seinem Liebhaber
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