Die Marseille-Connection
haben es schon viel zu lange nicht mehr richtig getrieben … Schade, dass nachher mein Flug nach Zürich geht.«
»Wann kommst du zurück?«
»Gleich morgen.«
Ulita lächelte zufrieden. »Dann brauchst du ja nicht mehr so lange zu warten.«
Sie verließ das Lokal, von den Blicken sämtlicher Männer verfolgt. Für eine Agentin im Einsatz war sie definitiv zu auffällig. Peskow seufzte. Er verabscheute es, mit dieser Frau insBett gehen zu müssen. Beim Vorspiel musste sie unbedingt ihre Überlegenheit unter Beweis stellen, bevor sie sich dann auf den Bauch drehte und das Gesicht ins Kissen drückte.
Ihm war nicht wohl in seiner Haut. Am liebsten wäre er bis zum Flughafen gerannt, um die innere Anspannung abzuarbeiten, die diese Begegnung ihm verursacht hatte. Missmutig setzte er sich in ein Taxi.
In Zürich hingegen nahm er den Zug in die Stadt. Er wollte sicher sein, dass ihm niemand folgte. Er aß einen Happen im Kaufleuten in der Pelikanstraße und prägte sich Gesichter und Transportmittel ein. Dann wanderte er mit einem beträchtlichen Umweg in die Bahnhofstraße, in der sich die Hans-Lehmann-Privatbank befand. Dort meldete er sich als Aleksandr Peskow an und verlangte einen Termin bei der für ihn zuständigen Mitarbeiterin, Fräulein Inez Theiler, machte es sich im gemütlichen Warteraum bequem und blätterte in der Singapore Business Times .
Inez hatte ihn unter einem anderen Namen kennengelernt, beherrschte sich aber und ließ keinerlei Überraschung erkennen, sondern reichte ihm sehr förmlich die Hand. Sie sahen einander lange in die Augen, bis der Russe sich aus der Versenkung riss und ihre Hand losließ. Sie ging ihm bis in ihr Büro voraus. Erst dort, hinter verschlossener Tür, konnten sie sich küssen. Sie streichelte ihm Gesicht und Brust.
»Sosim, Sosim, Liebster«, schluchzte sie auf, »endlich bist du da, ich hab mir so Sorgen gemacht.«
Der Russe drückte sie an sich und erwog, sie gleich jetzt über die geänderten Pläne zu informieren. Doch nur einen Moment lang, dann gab er dem Begehren nach, sie zu küssen.
»Gib mir die Schlüssel«, flüsterte er. »Ich warte zu Hause auf dich.«
Fast hypnotisiert betrachtete Peskow aus dem Schlafzimmerfenster das Vorüberfließen der Limmat und hielt so die Emotionen in Schach, die ihn überfielen. Er konnte es nicht erwarten, mit Inez ins Bett zu gehen, gleichzeitig quälte ihn die Gewissheit, dass die Nachricht, er werde jetzt in Marseille bleiben müssen und nicht nach Zürich kommen können, ihr das Herz zerreißen würde. Sie hatten sich an der Universität von Leeds kennengelernt und nach einiger Zeit ineinander verliebt, ihre Beziehung aber geheim gehalten. Das war die einzige Möglichkeit, sie zu schützen, vor der Organisatsia , vor Ulita, vor seinen Eltern. Nicht einmal die allernächsten Freunde waren eingeweiht.
In einem silbernen Rahmen auf dem Klavier im Wohnzimmer stand ein Polaroidfoto von vier jungen Leuten in einem Pub: Sosim, Sunil, Inez und Giuseppe, der Italiener. Sie waren unzertrennlich. Doch auch Sunil und Giuseppe gegenüber hatten sie ihr Geheimnis bewahrt. Der Plan, sich in Zürich niederzulassen, hatte dazu dienen sollen, endlich beieinander zu sein. Jetzt mussten sie die Kraft aufbringen, die Zukunft neu zu planen. Und dafür musste er sich vom FSB befreien. Er wartete in einem Sessel auf Inez. Als sie hereinkam, bat er sie, sich auszuziehen, und betrachtete sie lange, wie sie nackt vor ihm stand. Sie war so schön. Endlich nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn zum Bett.
Spätnachts machte Inez einen kleinen Imbiss aus Stilton Käse, einer Flasche Sauternes und Nüssen.
»Der FSB hat mich hereingelegt«, sagte er da ohne Umschweife. »Sie haben mich nach Marseille beordert.«
Inez’ Augen füllten sich mit Tränen.
»Wir werden schon eine Lösung finden«, beeilte sich Aleksandr zu sagen.
»Ach ja?«, meinte sie mit einem Anflug von Sarkasmus.
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur noch nicht, welche.«
Auch Inez liebte Schnelligkeit, und zwar schnelles Denken. Es war immer ihr Talent gewesen, Situationen blitzartig zu analysieren. Nicht ohne Grund hatte sie mit ihren siebenundzwanzig in der Bank eine Stellung inne, die sonst erst nach langem Dienst zu erringen war. Dass der Verwaltungsrat fest in der Hand ihrer Familie lag, spielte dabei keine Rolle, auf solchen Posten zählte einzig Leistung. Ihre Tränen versiegten und machten kühler Überlegung Platz.
»Wir müssten das Kapital in Marseille
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