Die Marseille-Connection
Marseillaise«, um sich einzuleben und seine Sprachkenntnisse zu trainieren. Wie aus dem Nichts stand auf einmal Ulita an seinem Tisch. Kaum hatte er die Zeitung gesenkt, da hatte sie sich schon gesetzt.
»Ich hoffe, du hast der dicken Kuh klargemacht, dass das Bett groß und bequem sein muss?«, fragte sie mit aufdringlicher Kleinmädchenstimme.
»Ich bin überrascht, dich hier zu sehen«, sagte er. »Aber ich freue mich, so kannst du mir das eine oder andere erklären, denn unsere Absprachen scheinen nicht mehr zu gelten. Ich sollte von Zürich aus die Mittel verwalten, die wir Witali Saytsew abgenommen haben, und den Gewinn aus dem Holzhandel in Tschernobyl, um so die Kassen des FSB flüssig zu halten, stattdessen werde ich nach Marseille geschickt und sitze auf einmal hier mit dir.«
»Freust du dich gar nicht, dass ich aus der fernen Heimat zu dir gekommen bin?«
»Wahnsinnig freue ich mich. Aber jetzt lass hören.«
Sie senkte die Stimme. »Marseille ist das Tor von Afrika nach Europa, der Einfallspunkt des Schmuggelns der islamischen Extremisten, zu denen die Tschetschenen mittlerweile beste Beziehungen unterhalten. Männer, Waffen … wir müssen sie hier abfangen, bevor sie nach Russland gelangen und in der U-Bahn Bomben legen. Wir haben dich hier nicht nur hergeschickt, damit du das Vermögen deiner Ex- Organisatsia verwaltest, sondern wir müssen die Mittel, die du beschaffst, nutzen, um ein effizientes und stabiles Netzwerk zu schaffen.«
»Ihr hattet nie die Absicht, mich nach Zürich zu schicken, stimmt’s?«
»Stimmt. Nur eine Flugstunde, schon bist du in der Schweiz und kannst dich ums Geschäftliche kümmern. Hier in Marseille sollst du Beziehungen zu allen relevanten Kreisen knüpfen. Politiker, Unternehmer, Finanzleute, alle, die uns dabei nutzen können, unsere Präsenz zu verstärken.«
»Willst du etwa sagen, hier in der Stadt sind überhaupt keine Agenten?«
»Stell dich nicht dumm«, zischte Ulita. »Russland hat viele Seelen, und jede verfügt über ihren eigenen Geheimdienst. Du stehst unter dem Befehl von General Worilows FSB.«
»Auf was für miese Überraschungen muss ich mich noch gefasst machen?«
Die Frau packte ihn am Kinn: »Bis gestern bist du ein dreckiger kleiner Mafioso gewesen. Du hast jetzt Gelegenheit, dich zu verbessern«, flüsterte sie kühl.
»Ich bitte für meine unangemessene Wortwahl um Verzeihung, Leutnant Winogradowa.«
»Bei dir weiß man nie, ob du es ernst meinst oder einen verarschen willst.«
Peskow breitete die Arme aus. »Du kennst mich, du weißt genau, wie ich funktioniere, schließlich hast du mich angeworben.«
»Und ich habe dir erlaubt, dein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.«
»Wie wird es aussehen, Ulita?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Niemand kann wissen, was die Zukunft bringt. Fest steht nur, wir werden es gemeinsam erleben. Unsere Verbindung ist unauflöslich.«
»Vergiss den General nicht«, bemerkte Peskow. »Das ist eine Dreiergeschichte.«
»Nein, ihn vergesse ich durchaus nicht. Worilow ist unser Väterchen.«
Aleksandr bekam eine Gänsehaut. »Väterchen«, so war auch Stalin genannt worden, zur Zeit des großen vaterländischen Krieges, und er wollte gar nicht genauer wissen, wie die politischen Meinungen seiner Führungsoffizierin aussahen.In Russland war der frühere Diktator immer noch sehr populär, ja, er stand auf der Beliebtheitsskala hinter dem legendären Fürst Newskij und dem zaristischen Minister Stolypin an dritter Stelle. Ulitas Hingabe an ihr Land war ehrlich, trotz ihres maßlosen Ehrgeizes, der sie bisweilen zu ganz und gar verfehlten Einschätzungen bewegte.
So zum Beispiel seine Anwerbung. Sie war überzeugt, Sosim mit schönen Worten und Sex gefügig gemacht zu haben. Sie war in Leeds aufgetaucht und scharwenzelte um ihn herum, bis sie im Bett landeten. Was Leutnant Winogradowa allerdings nicht wusste: Die Beschreibung des Studenten Sosim Katajew war auf dessen eigenes Betreiben hin beim Geheimdienst gelandet. Er hatte sich sozusagen selbst angeworben. Sich von der Organisatsia zu befreien, sich ihr Vermögen unter den Nagel zu reißen, das waren seine ersten Schritte in Richtung völlige Freiheit.
Ulita hatte aufs falsche Pferd gesetzt, und das sollte ihr nichts als bittere Enttäuschungen bereiten. Aleksandr musste lächeln bei der Vorstellung.
»Du scheinst ja an etwas sehr Schönes zu denken«, bemerkte sie verärgert.
»An deinen schönen Hintern habe ich gedacht«, log er. »Wir
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