Die Marseille-Connection
gut es ging.
Dann gingen sie, nicht ohne ihm zu drohen, sie würden ihm sämtliche Knochen im Leib brechen, wenn er am nächsten Tag nicht zahlte.
Esteban hatte nicht die geringste Absicht, sich zum Spielzeug dieser abgerissenen Typen machen zu lassen, und nahm sich abermals vor, sich eine Waffe zu besorgen. Er hob einen Besen mit abgebrochenem Stiel vom Boden auf und begann zu fegen.
Wieder klopfte es, diesmal etwas sanfter. Er öffnete, den abgebrochenen Stiel wie eine Waffe erhoben. Der kleine Junge, der draußen stand, musste sich das Lachen verkneifen. Er konnte nicht älter sein als dreizehn, auch wenn sein Gesicht eher das eines zehn Jahre Älteren war.
»Mit diesem halben Besen wirkst du ja nicht sehr gefährlich«, meinte er auf Spanisch, was Garrincha so freute, dass er auf den Spott nicht weiter einging.
»Wer bist du denn?«
»Pedro.«
»Und was willst du?«
»Kennst du den Typen, der vorher hier gewohnt hat?«
»Mag sein.«
»Komm mit.«
Vorm Eingang begegneten sie der Gruppe, die ihn angegriffen hatte, aber die Gesellschaft des Jungen genügte, um sie in Schach zu halten.
Nach fünf Minuten schweigenden Fußmarsches trafen sie bei einem Mietshaus ein, das auch in keinem besseren Zustand war als dasjenige, in dem er wohnen sollte.
»Das ist genau die richtige Gegend, um mit dem Abschaum des 13. in Kontakt zu kommen«, hatte die Bourdet gesagt.
Pedro brachte ihn in eine geräumige, saubere Wohnung, die kostspielig, allerdings arg protzig eingerichtet war, selbst für die Augen eines paraguyanischen Ganoven. Ein schmächtiger Typ um die dreißig mit Trägerunterhemd und pomadisiertem Haar saß in einem Sessel und wiegte ein dreijähriges Mädchen in den Schlaf. An ihm klimperte derart viel Gold, dass er aussah wie ein Latino-Schmuggler in einer amerikanischen Seifenoper. Er gab Garrincha mit einem Wink zu verstehen, er solle sich möglichst leise setzen.
»Sonst schläft sie nie ein und geht uns die ganze Nacht auf die Eier«, erklärte er.
Garrincha nickte tiefernst, als wäre ihm eine höchst beeindruckende Vertraulichkeit mitgeteilt worden.
»Wie heißt du?«, fragte der Pomadisierte.
»Weiß ich noch nicht.«
»Kann man wenigstens erfahren, woher du kommst?«
»Argentinien«, log er.
»Na gut. Ich bin Ramón, ich komme aus Venezuela, und du arbeitest jetzt für mich.«
»Was soll ich tun?«
»Als Erstes bringt Pedro dich zu einem verkackten Junkie, der für mich ein bisschen Stoff aufbewahren sollte und alles in Heroin eingetauscht hat. Du verpasst ihm eine Lektion und nimmst ihm alles ab, was mehr wert ist als ein Euro.«
Esteban fasste sich an den Bauch. »Ich hab seit zwei Tagen nichts gegessen, ich bin schon ganz schwach.«
»Hunger gelitten haben wir alle mal. Du erledigst deinen Job, und heute Abend kriegst du was zu essen. Klar so weit?«
Esteban schnaubte ungeduldig. Hunger, der Schmerz im Unterleib, dazu der Umstand, dass er die Marionette dieser Polizistin geworden war und eine Handvoll halbwüchsiger Zigeuner ihn misshandelt hatte … Das machte ihn alles verdammt wütend. Trotzdem sprang er auf und folgte abermals Pedro. Ein anderes Haus, wieder dieselbe Atmosphäre von Gewalt und Verzweiflung. Vor der Wohnungstür des Junkies wühlte Pedro in seiner Hosentasche und holte einen glänzenden Messingschlagring hervor.
»Tu ihm weh, dem Scheiß-Nigger.«
Eine ausgemergelte Afrikanerin von Mitte dreißig machte auf. Ein Schlag unters Kinn, und sie sackte zusammen. Schon tauchte der Schwarze auf, sichtlich von der Sucht gezeichnet.
»Was schlägst du sie? Sie hat dir nichts getan.«
Esteban Garrincha war ein Profi der Gewalt. Die Kindheit im Viertel Tarzan, dem schlimmsten der Hauptstadt, dann der Armeedienst und die Bande von Carlos Maidana, all das hatte ihn gelehrt zu töten, zu foltern und in jeder denkbaren Abstufung zu prügeln. Der Junkie überlebte nur, weil Esteban sein Geschäft wirklich verstand. Es würde das französische Gesundheitssystem ein hübsches Sümmchen kosten, ihn wieder zusammenzuflicken.
Gemeinsam mit dem Jungen durchsuchte er die Wohnung, raffte Münzen und allerlei Kleinigkeiten zusammen, insgesamt kaum mehr als hundert Euro wert. Was Garrincha aber zum Tier werden ließ, war, dass überhaupt nichts zu essen im Haus war. Er packte die Frau, die sich gerade wieder aufrappelte, am Arm und schleuderte sie auf das durchgesessene Sofa.
»Gibt es hier gar nichts zu essen?«, schrie er.
Sie kicherte leise und murmelte kopfschüttelnd etwas auf
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