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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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Computer wieder. Das ist die Atmosphäre des Schreckens, die sie kannte: ungerechte Vorwürfe, Anraunzer, angesichts des Niveaus ihrer Fähigkeiten demütigende Arbeit, systematisches Tadeln der geleisteten Arbeit.
    Sie wagt nicht, etwas zu sagen, und zieht sich auf die Toilette zurück, um zu weinen. Abends ist sie erschöpft. Am Morgen, sobald sie an ihrem Arbeitsplatz ist, fühlt sie sich schuldig, auch wenn sie nicht schuldig ist; denn jeder in diesem Betrieb paßt auf und belauert sie.
    Eve beschreibt ihre Arbeit als eine Streßfabrik. Alle ihre Kollegen klagen über psychosomatische Symptome: Kopfweh, Rückenschmerzen, Darmkatarrh, Ekzeme; aber wie verängstigte Kinder wagen sie es nicht, sich direkt über den Chef zu beschweren, dem das ohnehin völlig «wurst» ist.
    Sechs Monate nachdem sie krankgeschrieben war, erhält sie eine Ladung zu einem Gespräch, wie es einer Entlassung vorausgeht. Das geschieht genau nach einer eintägigen Abwesenheit anläßlich einer Messe, auf der sie ein Unwohlsein befallen hatte. Dieser Brief löst etwas bei ihr aus. Zum ersten Mal fühlt sie Zorn. Sie empfindet die Ungerechtigkeit und Böswilligkeit ihres Chefs, und sie ist fest entschlossen, sich nichts gefallen zu lassen. Trotz ihres Schuldgefühls – «Ich frage mich, inwieweit ich das nicht herausgefordert habe» – handelt sie.
    Sie holt sich Rat und geht zu dem Gespräch, zu dem sie geladen ist, in Begleitung eines nicht dem Betrieb angehörenden Arbeitnehmerberaters. Als offiziell angegebenes Motiv für die Entlassung gilt der Vertrauensverlust auf Grund ihrer mehrfachen Abwesenheit wegen Krankheit ohne den Arbeitgeber sogleich zu benachrichtigen. Der Berater weist daraufhin, daß sie zuletzt abwesend gewesen sei während einer Messe am Wochenende und daß der Chef unerreichbar gewesen sei. Nichts von dem, was der Chef vorbringe, bilde einen ernsthaften Entlassungsgrund. Der sagt, er werde darüber nachdenken, er habe ja Zeit genug, den Brief abzusenden.
    Um sich wirkungsvoll zu verteidigen, muß man überzeugt sein von seinem Recht. Eve hat sich über ihre Rechte erkundigt. Sie kennt auch die Irrtümer, die man nicht begehen darf. Wäre sie bei besagtem Gespräch alleine gewesen, hätte ihr Chef sie terrorisiert, wie er es immer zu tun verstand, bevor er ihr in patriarchalischer Haltung «nochmal eine Chance» gegeben hätte.
    Eve erwartet ihr Entlassungsschreiben, das nicht kommt. Sie macht weiterhin ihre Arbeit mit einem gewissen Vergnügen, aber der Streß, der sie umgibt, ist derart stark, daß sie aufs neue nicht schläft und sich erschöpft fühlt. Seit der Unterredung ist ihre Lage noch unbehaglicher. Täglich erhält sie Faxe mit kleinen Vorwürfen. Ihre Kollegen sagen ihr: «Du hättest das nicht tun dürfen, Du hast seinen Zorn gereizt!» Sie muß sich ständig rechtfertigen und fertigt, vorausschauend, Photokopien von jedem wichtigen Schriftstück. Sie muß auf der Hut sein, darf keinen Irrtum begehen, sich bei keinem Versehen ertappen lassen. Zur Essenszeit nimmt sie ihre persönlichen Notizen mit sich, auch wenn ihre Kollegen sich lustig machen über ihren Verfolgungswahn: «Du ziehst zum Essen los mit Deiner Schulmappe wie eine Schülerin!» Manche von ihnen werfen ihr die Akten auf ihren Schreibtisch, ohne das Wort an sie zu richten. Wenn sie protestiert, sagt man: «Hast Du ein Problem» Eve macht sich ganz klein, um keine Spötteleien auf sich zu ziehen. Der Chef meidet sie und übermittelt ihr seine Anweisungen per Zettel
    Einen Monat später beginnt er von neuem ein Entlassungsverfahren, weil, wie er sagt, Eves Haltung sich nicht geändert habe. Da diesmal klar zutage tritt, daß er keine anderen Entlassungsgründe hat als die Tatsache, daß er sie nicht mehr erträgt, handelt der Arbeitnehmerberater eine wirtschaftlich vorteilhafte Entlassung für sie aus. Der Chef fürchtet, Eve könnte vors Arbeitsgericht gehen, und unterzeichnet deshalb eine Einverständniserklärung.
    Nach ihrem Ausscheiden erfährt Eve, daß fünf ihrer Kollegen, drei davon in Führungspositionen, ebenfalls gehen werden. Einer hat seine Entlassung eingereicht, weil er woanders etwas Besseres gefunden hat; aber die anderen vier haben einfach aufgegeben und gehen weg ohne irgendeinen Vorteil.
     
     
    Die perversen Machenschaften
     
    Wenn ein perverses Individuum in eine Gruppe kommt, ist es sein Ziel, durch Charme die fügsamen Gruppenmitglieder um sich zu sammeln. Wenn ein einzelner sich nicht anwerben läßt, wird er von

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