Die Masken der Niedertracht
der Gruppe abgelehnt und zum Sündenbock gemacht. So entsteht eine soziale Bindung zwischen den Gruppenmitgliedern in der gemeinsamen Kritik an der isolierten Person, durch Geschwätz und Klatsch. Die Gruppe steht dann unter dem Einfluß des seelisch Perversen und folgt ihm in Zynismus und Respektlosigkeit. Nicht jeder hat deshalb schon jegliches Moralgefühl verloren, aber da sie abhängen von einem Menschen ohne Skrupel, verlieren sie jedes kritische Urteilsvermögen.
Der amerikanische Psychosoziologe Stenley Milgram hat zwischen 1950 und 1963 das Phänomen der Autoritätsgläubigkeit untersucht. 12 Seine Methode war die folgende: «Eine Person kommt in ein psychologisches Laboratorium, wo man sie bittet, eine Reihe von Handlungen vorzunehmen, die zunehmend in Konflikt geraten werden mit ihrem Gewissen. Die Frage ist herauszufinden, bis zu welchem Punkt sie den Anweisungen des Experimentators folgen wird, bevor sie sich weigert, die vorgegebenen Handlungen auszuführen.» In seiner Schlußfolgerung geht er so weit zu meinen, daß «ganz gewöhnliche Leute, ohne jede Feindseligkeit, Agenten eines entsetzlichen Vernichtungsprozesses werden können, indem sie lediglich ihre Aufgabe erfüllen». Diese Feststellung wird wieder aufgenommen von Christophe Dejours 13 , der von der «sozialen Banalisierung des Bösen» spricht. Es gibt tatsächlich Menschen, die eine überlegene Autorität brauchen, um zu einem gewissen Gleichgewicht zu gelangen. Die Perversen nutzen diese Fügsamkeit zu ihrem Vorteil aus und bedienen sich ihrer, um anderen Leid zuzufügen.
Das Ziel eines Perversen ist es, zur Macht zu gelangen oder sich dort zu halten, egal mit welchen Mitteln, oder auch seine eigene Unfähigkeit zu verschleiern. Zu diesem Zweck muß er sich jeden vom Halse schaffen, der ein Hindernis für seinen Aufstieg darstellt oder zu hellsichtig sein könnte, was die Methoden seines Vorgehens angeht. Man begnügt sich nicht damit, jemanden anzugreifen, der geschwächt ist, wie es beim Machtmißbrauch der Fall ist, sondern man erzeugt die Schwäche, um den anderen dann zu hindern, sich zu wehren.
Furcht erzeugt Verhaltensformen der Unterordnung, sogar der Unterwerfung, bei der aufs Korn genommenen Person, aber auch bei den Kollegen, die gewähren lassen und nicht sehen wollen, was um sie herum geschieht. Das ist die Herrschaft des Individualismus, des «jeder für sich». Die Umgebung fürchtet, angeprangert zu werden, wenn sie sich solidarisch zeigt, und bei der nächsten Entlassungswelle dabeizusein. In einem Betrieb soll man keinen Staub aufwirbeln. Man muß den «Geist des Hauses» mittragen, sich nicht zu abweichend zeigen.
Der amerikanische Film Swimming With Sharks (Unter Haien in Hollywood) von George Huang (1995) faßt all die Demütigungen und geistigen Qualen zusammen, die ein egozentrischer und sadistischer Chef einen ehrgeizigen Angestellten erdulden lassen kann, der bereit ist, alles hinzunehmen, um Erfolg zu haben. Man sieht ihn sein Personal beschimpfen, ohne Skrupel lügen, zusammenhanglose Anordnungen geben, einen Angestellten sich Tag und Nacht zu seiner Verfügung bereithalten lassen, die Vorschriften ändern, um diesen zu ständigem Auf-der-Hut-Sein zu zwingen. Das Personal weiß Bescheid: «Unter die Gürtellinie zu schlagen, ist nicht nur angeraten, sondern wird belohnt!» All das, während er fortfährt, seinen neuen Mitarbeiter zu verlocken und zu betören, indem er ihm eine Beförderung vorgaukelt: «Sei nett. Halt die Klappe, hör zu und halt die Augen offen. Du hast kein Hirn. Deine persönlichen Ansichten zählen nicht. Was Du denkst, interessiert mich nicht. Was Du empfindest, interessiert mich nicht. Du bist bei mir angestellt. Du bist da, um meine Interessen zu vertreten und meinen Bedürfnissen zu entsprechen ... Ich will dich nicht quälen. Ich möchte dir nur helfen; denn wenn Du Deine Arbeit gut machst, wenn Du Augen und Ohren aufsperrst, dann kannst Du bei mir alles erreichen, was du Dir erträumst.»
Ein seelisch Perverser kann um so besser agieren, wenn ein Betrieb ungeordnet, schlecht strukturiert, «deprimiert» ist. Er braucht nur den Riß zu finden, den er vertiefen wird, um seinen Machthunger zu stillen.
Die Methode ist immer die gleiche: Man nutzt die Schwächen des anderen und bringt ihn so weit, bis er an sich selbst zweifelt, um dann seine Abwehr zu zerstören. Durch dieses hinterhältige Herabsetzen verliert das Opfer zunehmend an Selbstvertrauen und gerät manchmal in derartige
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