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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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Verwirrung, daß es seinem Aggressor eigentlich nur recht geben kann: «Ich bin eine Null, ich schaffe es nicht, ich bin der Sache nicht gewachsen!» So vollzieht sich die Zerstörung auf extrem subtile Art und Weise, bis das Opfer sich schließlich selbst ins Unrecht setzt.
     
    Myriam ist Designerin bei einem bestens eingeführten Werbeunternehmen. Grundsätzlich ist sie allein verantwortlich für ihre Kreationen, aber alles wird koordiniert von einem Direktor, der unmittelbaren Zugang hat zum Generaldirektor. Verantwortlich für ihre Arbeit, setzt sie sich mit aller Kraft ein, arbeitet sogar am Wochenende und auch Nächte hindurch, die ihr nicht bezahlt werden. Doch sobald sie ihre Selbständigkeit allzu offen zeigt und sich Gedanken macht über das, was aus ihren Entwürfen wird, weist man sie zurecht.
    Wenn sie einen Entwurf abliefert, «überarbeitet» der Direktor, der kein Designer ist, was sie gemacht hat, ändert es nach Gutdünken ab, ohne sie zu informieren. Wenn sie Erklärungen verlangt, antwortet er ungeniert und mit breitem Lächeln: «Aber hören Sie mal, Myriam, das ist doch ohne Bedeutung!» Myriam kocht innerlich vor Zorn, kann sich aber nur selten Luft machen: «Drei Tage habe ich an diesem Entwurf gearbeitet, und er radiert in ein paar Sekunden alles aus, ohne sich die Mühe zu machen, mir Erklärungen dafür zu geben. Ich soll mich wohl noch darüber freuen, für jemanden arbeiten zu dürfen, der meine Arbeit ohnehin nicht gelten läßt!»
    Nichts wird ausdiskutiert, alles bleibt unausgesprochen. Bei diesem Direktor kann kein Angestellter sagen, was er denkt, alle haben Angst vor seiner Unberechenbarkeit. Die einzige Lösung ist, dauernd geschickt auszuweichen. Mißtrauen macht sich breit. Jeder fragt sich, worauf er hinaus will. Über Humor oder Spott erreicht er, daß jeder seinen Erwartungen entspricht. Sobald er auftaucht, sind alle sogleich angespannt, fühlen sich ertappt. Um Ärger zu vermeiden, hat der größte Teil der Angestellten den Entschluß gefaßt, Selbstzensur zu üben.
    Angesichts der Fülle der Arbeit hat der Direktor akzeptiert, daß Myriam einen Mitarbeiter anwirbt, doch unverzüglich hat er versucht, zwischen beiden Rivalität zu schüren. Wenn Myriam sagt, was sie von einem Entwurf hält, für den sie verantwortlich ist, hört er ihr nicht zu und wendet sich achselzuckend an den Assistenten: «Und Sie, Sie haben sicherlich eine bessere Idee?»
    Er verlangt von Myriam, immer mehr zu leisten und immer schneller. Wenn er von ihr erwartet, etwas zu machen, was sie unpassend findet und ablehnt, weil sie eine andere Vorstellung von ihrer Arbeit hat, redet er ihr Schuldgefühle ein und sagt, sie sei wirklich eine schwierige Person. Am Ende akzeptiert sie dann doch.
    Widersetzt sie sich aber, führt das zu einem solchen Streß, daß sie schon beim Aufstehen Magenschmerzen hat. An ihrem Arbeitsplatz bekommt sie Atemnot, hat das Gefühl, um ihr Überleben kämpfen zu müssen.
    Myriams Direktor will alles unter Kontrolle haben. Er will die Macht nicht teilen. Er ist mißgünstig und möchte Myriams Kreationen als seine eigenen ausgeben. Diese Art Management macht – wenn sie funktioniert – den Chef allmächtig. Manche Menschen finden sich mit dieser Kind-Rolle ab; die Konflikte zwischen Kollegen werden dann zu simplem Gezänk unter Geschwistern. Myriam widersetzt sich, doch sie wagt nicht, bis zum Ende zu gehen, weil sie ihre Stelle nicht verlieren möchte. Aber sie ist angeschlagen, nicht mehr motiviert: «Ich verstehe, wie man an Mord denken kann; weil ich so machtlos bin, spüre ich eine ganz wahnsinnige Gewaltbereitschaft!»
     
    Behandeln gewisse Arbeitgeber ihre Angestellten wie Kinder, so betrachten andere sie wie eine «Sache», verwendbar nach Gutdünken. Handelt es sich, wie hier, um kreative Arbeit, so ist es eine noch unmittelbarere Beeinträchtigung der Person. Denn man erstickt auf diese Weise in dem Arbeitnehmer jede Lust auf etwas Neues, jede Initiative. Trotz allem muß man den Angestellten, wenn er nützlich oder unentbehrlich ist, lähmen, ihn am Nachdenken hindern; er darf sich nicht fähig fühlen, auch anderswo zu arbeiten denn sonst könnte er ja kündigen. Man muß ihn dazu bringen, daß er selbst glaubt, er sei nicht zu mehr fähig als zu seiner derzeitigen Stelle. Leistet er Widerstand, isoliert man ihn. Man begegnet ihm, ohne ihm guten Tag zu sagen, ohne ihn anzusehen; man nimmt seine Anregungen nicht zur Kenntnis, man lehnt jeden Kontakt ab. Danach

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