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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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Leben zu verhelfen: «Mit mir wird er sich ändern!»
    Ihre Tatkraft ist allerdings mit einer gewissen «Schwäche» gekoppelt. Indem sie sich in das unmögliche Unterfangen stürzen, Tote aufzuerwecken, beweisen sie eine gewisse Überschätzung ihrer eigenen Kräfte. Etwas wie Herausforderung spielt da mit. Sie sind stark und begabt, aber sie müssen sich beweisen, daß sie es sind. Sie sind verletzlich, weil sie sich unschlüssig sind über ihre eigenen Fähigkeiten. Vermutlich ist es das, was sie empfänglich macht für die Phase der Verführung, in der der Perverse nicht versäumt, sie aufzuwerten. In der Folge kann ihre Hartnäckigkeit gefährlich sein. Sie geben nicht auf, weil sie sich nicht vorstellen können, daß nichts zu machen ist, daß man keine Veränderung erwarten kann. Wie wir sehen werden, würden sie sich schuldig fühlen, ihren Partner im Stich zu lassen.
    Wenn der Masochismus angeblich eine so grundlegende Eigenschaft des Opfers ist, wie kommt es dann, daß er in anderen Zusammenhängen nicht in Erscheinung getreten ist und daß er nach der Trennung von dem Aggressor verschwindet?
     
     
    Seine Skrupel
     
    Der Schwachpunkt, an den sich die Perversen bei ihrem Partner heranmachen, liegt meistens im Bereich des Gefühls von Abwertung und Schuld. Das simpelste, um den anderen zu destabilisieren, ist es, ihn dazu zu bringen, sich Schuldgefühle einzureden. In Kafkas Der Prozeß 32 ist Joseph K. angeklagt, ein Vergehen begangen zu haben, aber er weiß nicht, welches. Unermüdlich sucht er diese Anklage aufzuklären, um zu verstehen, was man ihm vorwirft. Er zweifelt an seinen Erinnerungen und ist am Ende davon überzeugt, er sei nicht er selbst.
    Das ideale Opfer ist eine gewissenhafte Person mit einem natürlichen Hang, sich schuldig zu fühlen. In der phänomenologischen Psychiatrie ist diese Verhaltensform bekannt und beschrieben worden, zum Beispiel von dem deutschen Psychiater Tellenbach, 33 als eine prädepressive Gemütsart, Typus melancholicus. Es handelt sich um Menschen, die im Bereich von Arbeit und gesellschaftlichen Beziehungen ordnungsliebend sind, die sich für ihre Nächsten aufopfern und schwer akzeptieren, daß die anderen ihnen einen Dienst erweisen. Diese Ordnungsliebe, die Sorge, alles richtig zu machen, verleiten diese Personen dazu, ein Arbeitspensum auf sich zu nehmen, das über dem Durchschnitt liegt und ihnen ein gutes Gewissen verschafft. Daher ihr Gefühl, bis an die Grenze des Möglichen mit Arbeit und Aufgaben überhäuft zu sein.
    Der Verhaltensforscher Boris Cyrulnik 34 vermerkte sehr richtig: «Häufig heiraten die Melancholiker Personen, die nicht leicht erregbar sind. Der weniger Empfindsame des Paares führt sein kleines gemütsarmes Leben um so ungestörter, als der Melancholiker des Paares, aufgrund seines ständigen Schuldgefühls, die Verantwortung für alle Sorgen übernimmt. Er kümmert sich um alles, leistet die undankbaren Arbeiten, regelt die Probleme, bis er zwanzig Jahre später, erschöpft von unablässigem Sichaufopfern, weinend zusammenbricht. Er wirft seinem Partner vor, die angenehme Seite der Paarbeziehung gewählt und ihm alles Leid überlassen zu haben.»
    Diejenigen, die sich im Vorstadium der Depression befinden, gewinnen die Liebe der anderen, indem sie geben, sich den anderen zur Verfügung stellen, und empfinden eine große Genugtuung, ihnen zu Diensten zu sein oder ihnen Freude zu machen. Die narzißtischen Perversen ziehen den Nutzen daraus.
    Solche Menschen ertragen nur schlecht Mißverständnisse oder Unbeholfenheiten, die sie sogleich zu korrigieren suchen. Bei Schwierigkeiten verstärken sie ihre Anstrengungen, überanstrengen sich, fühlen, daß die Ereignisse ihnen über den Kopf wachsen, haben Schuldgefühle, arbeiten immer mehr, ermüden, werden immer weniger leistungsfähig und fühlen sich – es ist ein Teufelskreis – immer schuldiger. Das kann bis zur Selbstanklage gehen: «Es ist meine Schuld, wenn mein Partner unzufrieden oder aggressiv ist.» Wird ein Fehler begangen, versuchen sie, ihn sich zuzuschreiben. Diese übertriebene Gewissenhaftigkeit ist verbunden mit der Angst, eine Niederlage zu erleiden; denn der Druck der Schuld und die Gewissensbisse erzeugen bei ihnen zu großes Leid.
    Sie sind auch empfindlich gegenüber dem Urteil anderer und ihrer Kritik, auch wenn sie unbegründet ist. Daher stehen sie unter permanentem Rechtfertigungsdruck. Die Perversen, die diesen Schwachpunkt spüren, finden Vergnügen daran,

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