Die Masken der Niedertracht
den anderen in seiner Subjektivität negiert. Man kann sich fragen, wieso diese Worte von den Opfern hingenommen und sogar verinnerlicht werden. Weshalb fahren die Opfer fort, sich auf diesen Diskurs einzulassen, während doch jede Erfahrung dagegen spricht? Wir haben gesagt, daß sie psychisch gefesselt sind. Wenn man sich ihrer bedient, so heißt das noch lange nicht, daß sie dieses Spiel zu spielen wünschen.
Freud hatte drei Formen von Masochismus unterschieden: den erogenen, den femininen, den moralischen. 30 Der moralische Masochismus wäre eine aktive Suche nach Mißerfolg und Leid, um ein Strafbedürfnis zu befriedigen. Entsprechend den Freudschen Kriterien findet der Masochist nicht nur Gefallen am Leid, an den Anspannungen, den Qualen, den Schwierigkeiten des Daseins, sondern beklagt sich auch noch ständig darüber und gibt sich pessimistisch. Sein ungeschicktes Benehmen zieht die Antipathien, die Mißerfolge an. Es ist ihm unmöglich, die Freuden des Lebens zu genießen. Diese Beschreibung paßt eher auf die Perversen selbst als auf ihre Opfer, die im Gegenteil als reich, optimistisch und voller Leben erscheinen.
Dennoch neigen zahlreiche Psychoanalytiker dazu, jedes Opfer einer perversen Aggression als heimlichen Komplizen seines Peinigers anzusehen, indem es eine sadomasochistische Beziehung zu ihm eingeht, als Quelle von Lust.
Bei den sadomasochistischen Beziehungen, die dem erogenen Masochismus Freuds entsprechen, finden die beiden Partner ihre Lust in gegenseitiger Aggressivität. Dies ist großartig in Szene gesetzt in dem Stück Wer hat Angst vor Virginia Woolf des amerikanischen Dramatikers Edward Albee (1962). Dort existiert eine versteckte Symmetrie, jeder kommt dabei auf seine Kosten, und jeder hat die Möglichkeit, aus dem Spiel auszusteigen, wenn er es wünscht.
Aber das perverse Verhalten besteht darin, jede Spur von Libido auszulöschen. Libido ist Leben. Man muß also jede Spur von Leben auslöschen, jedes Begehren, selbst das, zu reagieren.
In der Beziehung mit einem Perversen gibt es keine Symmetrie, es ist Herrschaft des einen über den anderen, wobei der Unterworfene gar keine Möglichkeit hat, zu reagieren und den Kampf anzuhalten. In diesem Umstand liegt es begründet, daß es sich wirklich um eine Aggression handelt. Die vorhergehende Etablierung des beherrschenden Einflusses hat ihm die Kraft genommen, nein zu sagen. Es gibt keine Verhandlungsmöglichkeit, alles wird diktiert. Das Opfer wird gegen seinen Willen in diese perverse Situation hineingezogen. Man hat die masochistische Seite an ihm angesprochen, die sich bei jedem findet. Es ist in eine zerstörerische Beziehung geraten, ist nun darin gefangen und hat keine Möglichkeit, ihr zu entkommen. Man hat es genau an seinem Schwachpunkt gepackt, mag diese Schwäche nun konstitutionell sein oder eine spontane Reaktion. «Ein jeder schwankt zwischen dem Wunsch nach Unabhängigkeit, nach Herrschaft, nach Verantwortung und dem infantilen Bedürfnis, sich in einen Zustand der Abhängigkeit, der Unverantwortlichkeit und somit der Unschuld zu begeben.» 31 Der wesentliche Fehler des Opfers war es, nicht mißtrauisch gewesen zu sein, die nonverbalen gewalttätigen Botschaften übersehen zu haben. Es hat diese Botschaften nicht zu deuten vermocht, es hat wörtlich genommen, was gesagt wurde.
Diese vermutete masochistische Neigung der Opfer, die sich sehnen, von ihrem Peiniger geknechtet zu werden, nutzen die Perversen aus. «Das gefällt ihm/ihr, er/sie mag das! Er/sie hat es so gewollt!» Die Entschuldigung fällt leicht; sie wissen besser als ihr Opfer, was dieses empfindet. «Ich behandle es so, weil es das liebt!»
Heutzutage ist der Masochismus Gegenstand der Schande, des Schuldvorwurfs. «Ich bin nicht maso!» sagen die Jungen. Heute muß man eher das aggressive Aussehen eines Schlägertyps haben. Die Opfer leiden nicht nur unter ihrer Opfersituation, sondern schämen sich auch noch, daß es ihnen nicht gelingt, sich zu verteidigen.
Was die Opfer der Perversen von den Masochisten unterscheidet, ist das unendliche Befreiungsgefühl, das sie empfinden, wenn es ihnen durch ungeheure Anstrengung gelingt, sich zu lösen. Sie sind erleichtert, weil Leiden als solches sie eben nicht interessiert.
Wenn sie sich manchmal über längere Zeit hin auf das perverse Spiel eingelassen haben, dann eher, weil sie wirklich lebendig sind und weil sie Leben geben wollen, und sich sogar an die unmögliche Aufgabe heranwagen, einem Perversen zu
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