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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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Zweifel zu wecken: «War ich nicht doch, ohne es gemerkt zu haben, vielleicht schuld an dem, was er mir vorwirft?» Wenn die Anschuldigungen auch nicht begründet sind, sind diese Menschen sich am Ende doch ihrer nicht mehr sicher und fragen sich, ob sie nicht trotz allem die Schuld auf sich nehmen müßten.
    Dieses summarische Denken herrscht sowohl beim Aggressor als auch beim Angegriffenen vor. Beide haben eine kritische Haltung über das Normalmaß hinaus verschärft und gesteigert; gegenüber der Außenwelt die Perversen, gegenüber sich selbst die Opfer.
    Die Opfer übernehmen in der Tat die Schuld des anderen. Sie haben das, was sie angreift, verinnerlicht: den Blick, die Gesten und die Wörter. Durch Projektion wälzen die narzißtischen Perversen ihre Schuld auf ihr Opfer ab. Bei einer Aggression genügt es, daß der Perverse abstreitet, damit die Opfer zweifeln. Aus diesem Grund geschieht es, daß gewisse Opfer Zuflucht zu einer List nehmen, um hinterher nachzuprüfen, ob die Gewalt Realität war. Sie bewahren die Duplikate des Briefverkehrs auf, sie finden Mittel und Wege, um einen versteckten Zeugen zu haben, oder aber sie nehmen Telephongespräche auf Band auf.
    Man findet im übrigen bei ihnen ein unterschwelliges Minderwertigkeitsgefühl, das zu kompensieren ihnen im allgemeinen gelingt, unter der Voraussetzung, daß man ihnen keine Gelegenheit liefert, sich schuldig zu fühlen. Diese Verwundbarkeit durch Schuldgefühle stellt eine Schwäche im Blick auf die Depression dar. Das schafft keinen depressiven Zustand, der gekennzeichnet wäre durch Schwermut und Erschöpfung, sondern ist im Gegenteil ein Zustand, der den Menschen dazu treibt, hyperaktiv zu werden, in ständiger Interaktion mit der Gesellschaft.
    Die Begegnung mit einem narzißtischen Perversen kann in der ersten Zeit erlebt werden als Anreiz, aus dem melancholischen Grundton herauszukommen. In einem Artikel beschreibt der englische Psychoanalytiker Massud Khan, wodurch die passive Anlage einer prädepressiven Frau sie für eine perverse Verbindung geeignet macht: «Mir scheint, daß der aktive Wille des Perversen nur wirksam wird im Bereich der Einbildung, wenn sein Opfer durch seinen passiven Willen Bitten äußert und einwilligt in diesen aktiven Willen.» 35 Das beginnt wie ein Spiel, ein intellektuelles Geplänkel. Es gilt eine Herausforderung anzunehmen: angenommen oder nicht angenommen zu werden als Partner von einer derart anspruchsvollen Persönlichkeit. Die Melancholiker «schaffen sich Gemütsbewegung», sie suchen in dieser Verbindung eine Erregung, die es ihnen ermöglicht, stärker zu fühlen, und sie werten sich auf durch die Wahl einer so schwierigen Situation oder eines so schwierigen Partners.
    Man könnte sagen, daß die potentiellen Opfer Träger einer partiellen Melancholie sind, mit, auf der einen Seite, einem schmerzlichen Punkt, der vielleicht zusammenhängt mit einem kindlichen Trauma, und, auf der anderen, einer sehr großen Vitalität. Die Perversen attackieren nicht die melancholische Seite, sondern die lebendige, die Vitalität, die sie wahrnehmen und sich anzueignen suchen.
    Es handelt sich hier um ein Aufeinanderprallen von zwei Narzißmen. Ihres eigenen narzißtischen Defizits wegen sind die Opfer gelähmt von der Wut, die sie hemmt zu reagieren, denn diese Wut wird kontrolliert oder gegen sie selbst gewendet.
     
     
    Seine Vitalität
     
    Die Opfer wecken Neid, weil sie zuviel zeigen. Es gelingt ihnen nicht, das Vergnügen zu verhehlen, das es ihnen bereitet, dieses oder jenes zu besitzen. Sie verstehen es nicht, ihr Glück nicht zur Schau zu stellen. In vielen Zivilisationen gehört es zum guten Ton, die materiellen oder geistigen Güter, die man besitzt, herunterzuspielen. Das nicht zu tun bedeutet, sich dem Neid auszusetzen.
    In unserer Gesellschaft, die die Gleichheit herausstreicht, neigt man dazu zu meinen, der Neid werde bewußt oder unbewußt von der Prunksucht hervorgerufen. Wird man zum Beispiel bestohlen, dann hat man eben seine Reichtümer übertrieben zur Schau gestellt. Die idealen Opfer der seelischen Perversen sind die, die kein Selbstvertrauen haben und sich deshalb verpflichtet fühlen, immer noch etwas draufzusetzen, zuviel zu tun, und – koste es, was es wolle – ein besseres Bild von sich selbst zu vermitteln.
    Es ist also die vitale Kraft der Opfer, die sie zur Beute macht.
    Sie brauchen das Geben und die narzißtischen Perversen das Nehmen: Das trifft sich bestens ... Die ideale

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