Die Masken der Niedertracht
seiner Suche nach Unterstützung innerhalb des Unternehmens kann der Arbeitnehmer aus dem Prozeß des Gequältwerdens herausfinden, wenn es ihm gelingt, auf einen Gesprächspartner zu treffen, der zuhören kann. Aber wenn das Quälen sich breitmachen konnte, dann beweist das doch auch, daß er dieses Glück nicht gehabt hat.
Wenn das Unternehmen hinreichend groß ist, sollte man zunächst den Personalchef aufsuchen. Leider sind so manche nur Personalchefs in Anführungsstrichen, sicherlich tüchtig in der Verwaltung, der Kalkulation und im Bereich des Arbeitsrechts, aber sie besitzen weder die Bereitschaft noch die Zeit, sich den Beziehungsproblemen der Arbeitnehmer zu widmen. In einem Unternehmen verlangt man von jedermann, Ergebnisse zu bringen, auch von ihnen. Viele ihrer Aufgabenbereiche können ein bezifferbares Ergebnis liefern, aber was mit Zuhören und Begleiten zu tun hat, mit «menschlichen Beziehungen» im engeren Sinne, rechnet sich nicht und findet manchmal nur schwerlich Platz in ihrem Zeitplan. Es kann auch vorkommen, daß sie das nicht weiter interessiert.
Wenn der Personalchef nichts hat tun können oder tun wollen, ist der Zeitpunkt gekommen, den Betriebsarzt aufzusuchen. Der kann zunächst einmal dem Opfer helfen, sein Problem besser zu Protokoll zu bringen, und dann kann er mit Hilfe dieser Protokolle vom Arbeitsplatz und anläßlich der ärztlichen Visite es den Arbeitnehmern und den Verantwortlichen ermöglichen, sich der schwerwiegenden Folgen dieser Verhältnisse psychologischer Gewalt bewußt zu werden. Diese Vermittlungsarbeit ist nur möglich, wenn er eine Vertrauensstellung im Unternehmen einnimmt und die Protagonisten gut kennt. Meistens setzt sich der psychologisch destabilisierte Arbeitnehmer zu spät mit dem Betriebsarzt in Verbindung, und der kann ihn nur schützen, indem er ihm zu einer ärztlichen Versorgung rät und dazu, sich krankschreiben zu lassen. Seine Stellung ist nicht leicht, denn er erstellt auch Eignungsgutachten, die schwerwiegende Folgen für den Arbeitnehmer haben können. Viele Arbeitnehmer scheuen sich auch, ihn aufzusuchen, weil sie wissen, daß er ein Arbeitnehmer ist wie sie, und sie sind sich nicht immer sicher, wie weit er geistig unabhängig ist gegenüber dem Betrieb, der sie quält oder das Quälen geschehen läßt.
Psychisch widerstehen
Um sich von gleich zu gleich zu wehren, muß man in guter psychischer Verfassung sein. Wir haben gesehen, daß die erste Phase des Quälens darin besteht, das Opfer zu destabilisieren. Es muß also einen Psychiater oder Psychotherapeuten konsultieren, um die Kraft wiederzugewinnen, die es ihm erlaubt, sich zur Wehr zu setzen. Die einzige Lösung, den Streß und seine gesundheitsschädlichen Folgen zu verringern, ist die, sich krankschreiben zu lassen. Doch viele Opfer weisen das anfangs zurück, weil sie fürchten, den Konflikt zu verschlimmern. Wenn die Person depressiv ist, ist eine Stützung durch angstlösende und antidepressive Medikamente wirklich notwendig. Der Betreffende sollte erst an seine Arbeit zurückkehren, wenn er völlig imstande ist, sich zu wehren. Das kann zu einer verhältnismäßig langen Krankschreibung (bisweilen für mehrere Monate) führen, die sich möglicherweise in einen längerfristigen Krankheitsurlaub verwandelt. Die Psychiater und die Vertrauensärzte der Sozialversicherung sehen sich somit veranlaßt, den Schutz der Opfer in die Hand zu nehmen und berufliche Probleme zu bereinigen, während die Lösungen juristische sein müßten.
Ein Opfer droht zusammenzubrechen. Sein Arzt schreibt es krank wegen Depression, was den Peiniger und das Unternehmen zufriedenstellt. Als das Opfer das Ende seines Krankenurlaubs ankündigt, rät ihm die Direktion, den Urlaub verlängern zu lassen. Der Arzt lehnt das ab und bringt vor, daß das Problem zwischen dem Arbeitnehmer und dem Unternehmen bereinigt werden müsse, da es am Arbeitsplatz bestehe. Das Opfer nimmt seine Arbeit wieder auf und muß sich vorwerfen lassen, daß es sich nicht habe behandeln lassen.
Ein anderes Opfer, das seit mehreren Monaten von seinem Chef gequält wird, ist krankgeschrieben wegen Depression. Bei jedem Versuch, die Arbeit wiederaufzunehmen, erleidet es einen Rückfall. Der Chef wird derart bedrohlich, daß das Opfer Anzeige erstattet. Um einer Verurteilung vor dem Arbeitsgericht zu entgehen, akzeptiert der Chef, sich von seinem Angestellten zu trennen, aber er verschleppt die Formalitäten. Dem Opfer, das
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