Die Masken der Niedertracht
immer noch krankgeschrieben ist, geht es besser. Muß es seine Arbeit wiederaufnehmen während der Wartezeit, bis seine Entlassung wirksam wird? Der Vertrauensarzt, der darüber zu entscheiden hatte, fand dies nicht. Er zog es vor, das Opfer zu schützen, und hat die Krankschreibung bis zur Entlassung verlängert.
Da das Spiel des Quälers darauf beruht, zu provozieren und den anderen ins Unrecht zu setzen, indem er seinen Zorn oder seine Verwirrung weckt, sollte das Opfer lernen zu widerstehen. In einer gegebenen Situation ist es leichter, sich gehenzulassen und sich zu fügen, als Widerstand zu leisten und den Konflikt zu wagen. Was sie auch durchmachen mögen, ich rate den Opfern, Gleichgültigkeit vorzuspiegeln, ein Lächeln zu wahren und mit Humor zu antworten, aber ohne Beimischung von Ironie. Sie sollten unerschütterlich bleiben und nie das Spiel der Aggressivität mitspielen. Sie müssen den anderen reden lassen, sich nicht aufregen und dabei zugleich jede Aggression notieren, um ihre Verteidigung vorzubereiten.
Um das Risiko eines beruflichen Fehlers zu begrenzen, sollte das Opfer untadelig sein. Denn selbst wenn der Peiniger nicht sein Vorgesetzter ist, steht es im Rampenlicht. Man beobachtet es, um zu verstehen, was vor sich geht. Die geringste Verspätung, der geringste Fehler werden für Beweise seiner Verantwortlichkeit bei dem Vorgang gehalten.
Es wäre auch gut, wenn es lernte zu mißtrauen und seine Schubladen abschlösse, sein berufliches Notizbuch oder ein wichtiges Aktenstück, das es bearbeitet, mit sich nähme, selbst zur Essenszeit. Natürlich ist das den Opfern zuwider. Meist nehmen sie dazu erst ihre Zuflucht, wenn die Situation nicht mehr zu retten ist und sie eine Akte fürs Arbeitsgericht vorbereiten.
Um eine gewisse Selbständigkeit des Denkens und einen kritischen Verstand wiederzufinden, müßten die Opfer ein neues Kommunikationsraster verwenden, als systematischen Filter, der ihnen erlaubt, die Wirklichkeit wieder mit dem gesunden Menschenverstand in Übereinstimmung zu bringen. Die Botschaften wörtlich nehmen; wenn nötig, sie sich präzisieren lassen; und die Anspielungen überhören.
Das setzt voraus, daß die gequälte Person in der Lage ist, einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie muß lernen, auf die Provokationen ihres Aggressors nicht zu reagieren. Nicht zu reagieren, fällt gerade dem besonders schwer, der ausgewählt wurde wegen seiner Impulsivität. Das Opfer muß seine gewohnten Schemata verlassen; es muß lernen, ruhig zu bleiben, zu warten, bis seine Stunde kommt. Es ist wichtig, daß es sich in seinem tiefsten Inneren die Überzeugung bewahrt, daß es im Recht ist und daß es ihm früher oder später gelingen wird, sich Gehör zu verschaffen.
Handeln
Im Gegensatz zu dem, was ich für den familiären Bereich empfehle – wo es unerläßlich ist, damit aufzuhören, sich zu rechtfertigen, um dem beherrschenden Einfluß zu entkommen –, muß man sich im beruflichen Bereich äußerst unnachgiebig zeigen, um der perversen Kommunikation entgegenzutreten. Man muß die Aggression antizipieren, indem man sich vergewissert, daß in den Anweisungen und Befehlen keine Zweideutigkeiten stecken, indem man Ungenauigkeiten ausräumen und zweifelhafte Punkte klären läßt. Wenn Zweifel bleiben, sollte der Arbeitnehmer um ein Gespräch bitten, um Erklärungen zu bekommen. Im Falle einer Ablehnung darf er nicht zögern, dieses Gespräch per Einschreibebrief zu verlangen. Diese Briefe können im Fall eines Konflikts als Beweis für das Fehlen eines Dialogs dienen. Es ist besser, als ungewöhnlich mißtrauisch zu gelten – selbst auf die Gefahr hin, als paranoisch eingeschätzt zu werden als sich in die Position dessen manövrieren zu lassen, der einen Fehler begangen hat. Es ist nicht verkehrt, wenn das Opfer in einer Umkehrung der Verhältnisse seinen Aggressor beunruhigt, indem es ihm zu verstehen gibt, daß es sich von nun an nichts mehr gefallen läßt.
Gewöhnlich wendet sich das Opfer an die Gewerkschaften oder an die Personalvertretung, wenn es feststellt, daß keine Lösung angeboten wurde, und es eine Entlassung fürchtet oder selbst zu kündigen ins Auge faßt. Aber man muß wissen, daß es zu einem offenen Konflikt kommt, wenn Zustände, bei denen gequält wird, den Gewerkschaften gemeldet werden. Deren Intervention besteht dann darin, eine Entlassung auszuhandeln. Es ist sehr schwer, eine Vermittlung noch auf dieser Ebene zu erreichen; denn die
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