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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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der Schüler und Freund Sigmund Freuds war, brach mit ihm, als es um das Trauma und die analytische Technik ging. 1932 notierte er: «Die analytische Situation: die reservierte Kühle, die berufliche Hypokrisie und die dahinter versteckte Antipathie gegen den Patienten, die dieser in allen Gliedern fühlt, war nicht wesentlich verschieden von jener Sachlage, die seinerzeit – ich meine in der Kindheit – krankmachend wirkte.» 41 Das Schweigen des Psychotherapeuten ist ein Echo der Kommunikationsverweigerung des Aggressors und treibt das Opfer abermals in die Rolle des Opfers.
    Die Betreuung eines Opfers von Perversion muß uns veranlassen, unser Wissen und unsere therapeutischen Methoden zu überdenken, um uns dem Opfer zur Seite zu stellen, ohne uns als allmächtig aufzuspielen. Wir müssen lernen, uns frei zu machen von Lehrmeinungen, von Gewißheiten, und es auch wagen, Freudsche Dogmen in Frage zu stellen. Übrigens folgt der größte Teil der Psychoanalytiker, die sich um solche Opfer kümmern, Freud nicht mehr, wenn es um die Realität des Traumas geht: «Die analytische Technik, die bei den Opfern anzuwenden ist, muß folglich neu definiert werden und sowohl der psychischen wie auch der Realität der Ereignisse Rechnung tragen. Der Vorrang, der dem inneren Konflikt auf Kosten der objektivierbaren Tatsachen zugestanden wird, erklärt, warum die Psychoanalytiker der Erforschung des realen Traumas und seinen psychischen Folgen einen so geringen Stellenwert einräumen.» 42
    Die Psychotherapeuten müssen flexibler werden und sich eine neue Arbeitsmethode ausdenken, eine aktivere, wohlwollendere und stimulierendere. Solange die Person sich nicht von dem beherrschenden Einfluß befreit hat, wird ihr eine psychoanalytische Standardbehandlung mit allem, was diese an Frustration einschließt, nicht helfen können. Sie geriete nur wieder unter einen anderen beherrschenden Einfluß.
     
     
    Die Perversion beim Namen nennen
     
    Es ist wichtig, daß der Therapeut das Trauma, das von einer äußeren Aggression herrührt, als etwas Geschehenes anerkennt. Es fällt dem Patienten oft schwer, sich an die vergangene Bindung zu erinnern. Einerseits, weil sie versuchen, ins Vergessen zu flüchten; andererseits, weil das, was sie sagen könnten, für sie noch undenkbar ist. Sie brauchen Zeit und die Unterstützung des Psychotherapeuten, um allmählich dahin zu kommen, es in Worte zu fassen. Dessen Ungläubigkeit wäre eine neuerliche Gewaltsamkeit, sein Schweigen würde ihn zum Komplizen des Aggressors machen. Gewisse Patienten, die eine Situation des Quälens erlebt haben, berichten, daß der Psychotherapeut nicht zuhören wollte, wenn sie versuchten, mit ihm darüber zu sprechen, und sie wissen ließ, die intrapsychischen Aspekte interessierten ihn mehr als die wirklich erlebte Gewalt.
    Die perverse Manipulation beim Namen zu nennen bringt den Menschen nicht durcheinander, sondern erlaubt ihm im Gegenteil, aus dem Verleugnen und den Schuldgefühlen herauszukommen. Die Last der Zweideutigkeit der Wörter und des Unausgesprochenen beiseite zu räumen, heißt, Zugang zur Freiheit zu finden. Zu diesem Zweck muß der Therapeut dem Opfer helfen, wieder auf seine inneren Ressourcen zu vertrauen. Egal, welcher Schule der Psychotherapeut zuneigt, er muß sich in seinem Vorgehen hinreichend frei fühlen, um diese Freiheit an seinen Patienten weiterzugeben und ihm zu helfen, von dem beherrschenden Einfluß loszukommen.
    Es ist unmöglich, das Opfer eines Perversen (eines seelisch oder sexuell Perversen) zu behandeln, ohne die Gesamtumstände zu berücksichtigen. In der ersten Zeit muß der Psychotherapeut seinem Patienten helfen, die perversen Strategien ans Licht zu bringen – und dabei vermeiden, ihnen eine neurotische Bedeutung zu geben sie zu benennen, und ihm helfen zu erkennen, was von ihm selbst und seiner Verletzlichkeit herrührt und was auf die Aggression von außen zurückzuführen ist. Zum Bewußtwerden der Perversität der Beziehung muß das Bewußtwerden der Art und Weise des Sichentfaltens des beherrschenden Einflusses hinzutreten. Indem man ihm die Mittel gibt, die perversen Strategien auszumachen, ermöglicht man es dem Opfer, sich von seinem Aggressor nicht mehr verführen und sich von ihm auch nicht mehr rühren zu lassen.
    Man muß vom Patienten auch fordern, den Zorn mitzuteilen, den er auf Grund des beherrschenden Einflusses nicht hat empfinden können, ihm erlauben, bis dahin unter Kontrolle gehaltene Gefühle

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