Die Masken der Niedertracht
auszusprechen und zu empfinden. Wenn dem Patienten die Worte fehlen, muß man ihm helfen, das alles in Worte zu fassen.
Sich befreien
Beginnt man eine Psychotherapie als gequältes Opfer, so sollte man nicht als erstes zu erfahren suchen, weshalb man sich in diese Umstände verstrickt hat, sondern wie man daraus so schnell wie möglich herauskommt.
Die Psychotherapie muß – zumindest in der ersten Zeit – aufbauend wirken und dem Opfer erlauben, von der Angst und den Schuldgefühlen loszukommen. Der Patient muß deutlich spüren, daß man für ihn da ist, daß sein Leid uns nicht gleichgültig läßt. Indem man die seelische Struktur des Opfers stärkt, seine unversehrten psychischen Teile festigt, ermöglicht man ihm, sich selbst hinreichend zu vertrauen, um es zu wagen, das zurückzuweisen, was es als unheilvoll empfindet. Dieses Bewußtwerden kann sich erst infolge eines Reifungsprozesses einstellen, der in die Lage versetzt, dem Aggressor auch wirklich die Stirn zu bieten und nein zu sagen.
Wenn die Perversion deutlich beim Namen genannt worden ist, muß das Opfer die Ereignisse der Vergangenheit noch einmal überdenken, im Hinblick auf das, was es aus dieser Aggression gelernt hat. Sein Lese-Raster war falsch. Es hatte eine Vielzahl von Tatsachen registriert, die in dem Moment, da sie auftraten, keinen Sinn hatten, weil sie zusammenhanglos waren, die aber klar werden in einer perversen Denkweise. Es muß tapfer sein und sich fragen, welche Bedeutung dieses Wort oder diese Situation hatte. Sehr häufig hatten die Opfer gespürt, daß das, was sie sich sagen oder mit sich geschehen ließen, für sie nicht gut war, aber sie unterwarfen sich, weil sie sich keine anderen Kriterien vorstellen konnten als ihre eigene Moral.
Sich frei machen vom Schuldgefühl
Auf gar keinen Fall darf die Therapie dazu führen, das Schuldgefühl des Opfers zu verstärken, indem sie es verantwortlich macht für seine Opferstellung. Es ist nicht dafür verantwortlich, aber es nimmt diese Situation auf sich. Solange es nicht von dem beherrschenden Einfluß losgekommen ist, bleibt es erfüllt von Zweifel und Schuldgefühl: «Wodurch bin ich schuld an dieser Aggression?» und dieses Schuldgefühl hindert es voranzukommen, besonders wenn der Aggressor, wie es oft der Fall ist, das Opfer als geisteskrank hingestellt hat: «Du bist verrückt!» Man soll sich nicht seinetwegen oder seiner Worte wegen behandeln lassen, sondern sich selbst zuliebe.
Der amerikanische Psychotherapeut Spiegel faßt die Veränderung, der man die traditionellen Psychotherapieformen unterziehen muß, um sie den Opfern anzupassen, folgendermaßen zusammen: «In der traditionellen Psychotherapie ermutigt man den Patienten, mehr Verantwortung für die Probleme des Lebens zu übernehmen, während man dem Opfer helfen muß, eine geringere Verantwortung für das Trauma auf sich zu nehmen.» 43 Aus seinem Schuldgefühl herauszukommen erlaubt es, sich sein Leid wieder anzueignen, und erst später, wenn das Leiden ferngerückt ist, wenn man die Erfahrung der Heilung gemacht hat, kann man zurückkommen auf seine persönliche Geschichte und zu begreifen versuchen, weshalb man in diese zerstörerische Verbindung hineingeraten ist, weshalb man sich nicht zu wehren wußte. Denn man muß leben, um auf solche Fragen antworten zu können.
Eine ausschließlich um das Intrapsychische zentrierte Psychotherapie kann das Opfer nur dazu bringen, über das Geschehene zu grübeln oder Gefallen zu finden an der Sphäre von Depression und Schuldgefühl, da sie es noch stärker verantwortlich macht für einen Vorgang, in den zwei Individuen verwickelt sind. Die Gefahr bestünde darin, allein in seiner Geschichte nach dem vergangenen Trauma zu suchen, das für sein gegenwärtiges Leiden eine lineare und kausale Erklärung lieferte, was darauf hinausliefe zu sagen, es sei für sein eigenes Unglück verantwortlich. Trotzdem weigern sich gewisse Psychoanalytiker nicht nur, die geringste moralische Bewertung des Verhaltens oder der Handlung der Perversen, die auf ihre Couch kommen, vorzunehmen, selbst wenn sie offensichtlich verheerend für andere sind, sondern sie bestreiten sogar die Bedeutung des Traumas für das Opfer oder machen ironische Bemerkungen über seinen Hang, alles immer «wiederzukäuen». Erst kürzlich haben Psychoanalytiker, die über das Trauma und seine subjektiven Nachwirkungen diskutierten, gezeigt, wie sie unter dem Deckmantel theoretischen
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