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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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sich dann zum Sarg hinunterbeugten, sah ich zudem, daß sie dunkle Handschuhe übergestreift hatten. Ein Geruch wie jener, der in der Burg aus der Kammer gedrungen war, breitete sich aus, nur schwächer. Die beiden Männer mit den Kapuzen und den Masken machten sich an dem Leichnam zu schaffen, doch ich konnte nicht deutlich erkennen, was sie taten. Dann blickte der Richter zu mir und winkte mich herbei. Er stand näher bei der Leiche, jedoch nicht so nahe, als daß er sie hätte berühren können. Ich folgte seiner Aufforderung und schaute mir nun an, was die Männer taten, und ich sah das wahre Gesicht von Thomas Wells, der zuvor Springers Gesicht getragen hatte und dann das Stoffgesicht der Puppe aus Stroh und Lumpen, mit Löchern statt Augen, aus denen die Halme herausgeschaut hatten. Und dieses Gesicht, in das ich jetzt schaute, war nicht so wirklich wie die anderen; es war im Tod verloren. Der Geruch war jetzt stärker. Sie drehten seinen nackten Körper einmal so herum und mal so, und seine Arme und Beine baumelten im Schnee.
       Im Kreis des Fackellichts befanden sich nur jene, die mit dem Körper beschäftigt waren, sowie der Richter und ich. Die Bewaffneten waren in einiger Entfernung zurückgeblieben, dort, wo sie ihre Pferde angebunden hatten, und die anderen Männer hatten sich auf Weisung zu ihnen gesellt. Einer der Maskierten hob den Kopf und blickte zum Richter empor. Mit ruhiger Stimme, die gedämpft durch die Maske klang, sagte er: »Ohne jeden Zweifel wurde hier Sodomie vollzogen, und zwar auf höchst gewalttätige Art. Die Leiche wurde nicht gewaschen, allenfalls in größter Eile – es sind noch Blutspuren zu sehen. Und da sind Würgemale. Doch das Genick ist gebrochen; dies ist die eigentliche Todesursache. Ich würde sagen, er wurde halb zu Tode gewürgt – wahrscheinlich, während der Akt vollzogen wurde; dann brach man ihm mit einem einzigen Drehgriff das Genick. Dazu braucht es jemanden mit gewaltiger Körperkraft.«
       Er schwieg für einen Augenblick, schaute durch das Fackellicht zu uns empor. Dann sagte er: »Er wäre ohnehin sehr bald gestorben. Ihr hattet recht, Euer Ehren. Er trägt die Zeichen. Seht nur, hier.« Er griff nach dem rechten Handgelenk von Thomas Wells und hob den Arm des Toten in unsere Richtung. »Komm mit dem Licht näher«, sagte er zu dem Mann mit der Fackel.
       In der Achselhöhle befand sich eine schwarze Schwellung von der Größe eines Hühnereis, und die Haut ringsum war aufgerissen; als noch Leben im Körper gewesen war, war eine zähflüssige Substanz aus den Hautrissen hervorgequollen, die jetzt eine dunkle Kruste gebildet hatte. Auf Gesicht und Brust des armen Jungen lagen schmelzende Schneeflocken und bildeten feuchte Flecken, so daß es aussah, als würde die Absonderung sich weiter ausbreiten.
       »Auch in der rechten Leiste ist so ein Knoten, wenn auch kleiner«, sagte der maskierte Mann. »Ihr müßtet schon näher kommen, wenn Ihr’s sehen wollt.«
       »Ich habe genug gesehen.« Der Richter wandte sich ab. »Sorgt dafür, daß der arme Kerl wieder verhüllt und so in sein Grab gelegt wird, wie’s sich geziemt«, sagte er über die Schulter und schritt davon, wobei er mich mit sich führte.
       Gemeinsam ritten wir zurück. Der Richter hielt sein Pferd an meiner Seite, und seine Leute folgten uns in einigem Abstand. Während wir dahinritten, erzählte er mir, was ich noch wissen mußte, um diese Angelegenheit gänzlich zu verstehen. »Der Mönch hat die Knaben herbeigeschafft «, sagte er. »Auf dem Gelände der Burg wird’s irgendwo ein Schlammbecken oder eine Jauchegrube geben oder ein geheimes Verlies in den Kellergewölben, wo er die Leichen nachher versteckt hat. Eine Suche würde zweifellos alles zutage fördern, aber so weit brauchen wir wohl nicht zu gehen.«
       »Warum tut ein Mensch etwas so Schreckliches? Was hat er davon?«
       »Diese Fragen haben keine allzu große Bedeutung, Nicholas. Das Böse ist auf der Welt zu weit verbreitet, als daß wir viel an das Warum und Wozu denken. Es liegt näher, nach dem Seltenen zu forschen als nach dem Gemeinen und sich zu fragen, warum die Menschen mitunter Gutes tun. Vielleicht hat es dem Mönch Lust bereitet, dabei zuzuschauen. Vielleicht wurde er bezahlt. Vielleicht wollte er die Macht, die einem zufällt, wenn man den Mächtigen unentbehrlich ist.«
       In meinem Inneren glaubte ich nicht an ein solches Übergewicht des Bösen, und so ist es noch heute – außer zu den

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