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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gleich, schlanke Türme gen Himmel. Arian erinnerte sich an ein Bild in der Zeitung von einem ganz ähnlichen Bauwerk. Die Zeichnung stammte von Thomas Daniell, der mit seinem Neffen William seit sieben Jahren durchs ferne Indien reiste. Der Palast hieß Taj Mahal .
    Nostradamus seufzte. »Ist er nicht wunderschön?«
    »Wie eine Träne auf der Wange der Zeit«, murmelte Mira ergriffen.
    »Für uns wohl eher ein Gefängnis«, sagte Tarin unheilschwanger.
    Arian erschrak, als plötzlich ein Heulen erklang, das wie ein Signal übers Wasser hallte. Einer der Schwarzgewandeten hatte das Kinn himmelwärts gerichtet und gab diesen unheimlichen Laut von sich, der dem Wolfsgeheul so täuschend ähnlich war. Verbarg sich unter dem menschlichen Äußeren des Mannes tatsächlich ein wildes Tier?
    Wenig später war von der unsichtbaren Insel her ein leises Plätschern zu vernehmen. Arian spähte auf den See hinaus. Ein Lichtreflex zwang ihn zu blinzeln. Auf einmal sah er eine Barke, ein mastloses Boot mit geringem Tiefgang und hochgezogenem Bug- und Hecksteven. Sechs Gestalten standen paarweise an Rudern, die fast senkrecht ins Wasser tauchten, eine weitere hielt das Steuerruder im Heck. Die Männer trugen topfartige, karmesinfarbene Filzhüte mit schwarzen Quasten. Ihre Westen waren ebenfalls rot wie Pariser Lack, die Pumphosen und langen Hemden dagegen schneeweiß. Das Strahlen, das Arian geblendet hatte, kam von einem goldenen Reliefband, das den Rumpf der Barke am oberen Abschluss umgab und das Licht der untergehenden Sonne reflektierte. Kurz darauf schob sich der aufstrebende Bug knirschend ans Ufer.
    »Bitte seht es mir nach, wenn ich Euch nicht die Hand zum Einsteigen reiche«, sagte Nostradamus zu Mira. Auch von der Besatzung machte niemand Anstalten, den drei Besuchern zu helfen.
    Ob sie wissen, dass zwei von uns Swapper sind? , fragte sich Arian, während er sich als Erster über das Dollbord schwang und Mira die Hand entgegenstreckte. »Was ist mit unseren Pferden?«
    »Eure?«, amüsierte sich der Hagere. »Ist es nicht vielmehr so, dass Ihr sie ihren früheren Besitzern gestohlen habt?«
    »Die schmoren längst in der Hölle«, knurrte Tarin und folgte dem Mädchen.
    »Morpheus wird darüber befinden«, beendete Nostradamus den Disput. Er stieg als Letzter in das flache Gefährt.
    Die Schwarzen Wölfe beobachteten vom Ufer aus, wie die Männer mit den roten Filzhüten die Barke wieder ins tiefere Wasser stießen. Kurz darauf bestiegen die Reiter ihre Pferde und galoppierten davon. Auch die Kutsche entfernte sich.
    Die Fährleute nahmen Kurs auf die Seemitte. Unterdessen versank die Sonne vollends hinter den Bäumen und Arian konnte nicht einmal mehr aus den Augenwinkeln das unsichtbare Eiland ausmachen. Nachdem sie einige Bootslängen zurückgelegt hatten, drehte er sich zu dem Hageren um. »Wie kommt es, dass die Insel nie entdeckt wurde, Monsieur de Nostredame?«
    »Weil die Menschen in dieser Gegend nicht weniger abergläubisch sind als anderswo. Sie denken, im See spuken die Toten einer blutigen Schlacht, die hier vor über zweitausend Jahren tobte.«
    »Gallische Kriege: Julius Cäsar gegen die Bellovaker«, murmelte Mira.
    Tarin verdrehte die Augen und schnaubte.
    »Es fällt mir schwer, das zu glauben«, sagte Arian.
    »Die Insel kann man nicht durch Zufall entdecken«, erklärte Mira. »Das Boot würde einfach hindurchrauschen. Nur wer sie absichtlich ansteuert, vermag sie zu finden.«
    Nostradamus’ dünne Lippen kräuselten sich. »Ich rate Euch, Mademoiselle, Euer Wissen über diesen Ort nicht auf der Zunge zu tragen. Ihr seid eine zu hübsche Blume, um vor dem Ende des Sommers abgeschnitten zu werden.«
    Sie reckte trotzig das Kinn. »Erzählt mir nicht, Euch würde irgendetwas an uns liegen.«
    »Es betrübt mich, dass Ihr so von mir denkt. Mein Bestreben war immer, einen Ausgleich zwischen den zerstrittenen Parteien der Tauscher zu schaffen.«
    Mira schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Als ich hörte, was Baladur und Eurer Mutter widerfahren ist, habe ich drei Tage Trauerfasten eingelegt.«
    Sie wandte sich von ihm ab. Es war ihr anzusehen, wie sehr die Erwähnung ihrer Eltern sie aufwühlte.
    Nostradamus ließ nicht locker. »Ich hatte sogar mit meinem Gelübde gehadert, das mich zur Unparteilichkeit verpflichtet. Am liebsten hätte ich es gebrochen und diesen selbstherrlichen Volksfreund für seinen Verrat ans Messer geliefert.«
    Ihr Kopf fuhr herum. »Sprechen Sie von Jean Paul Marat?«
    »Wer

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