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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einzuordnen vermochte. Vielleicht hat jede Seele ihren eigenen Geruch , dachte er und schielte auf die feuerroten Locken herab.
    Ihr Haupt lag an seiner Schulter, so wie schon auf der Fahrt nach Dover. Und genauso hielt sie seine Hand. Nicht unbedingt zur Freude Tarins, der ihnen gegenübersaß und die Schlafende unentwegt anstarrte. Die Kutsche rumpelte, ohne ihr mörderisches Tempo zu verringern, vom sandigen Weg auf ein Steinpflaster. Miras Kopf fuhr hoch.
    Tarin lächelte. »Wünschen wohl geruht zu haben, Mademoiselle. Vielleicht darf ich Ihnen zur Abwechslung meine Schulter als Schlummerkissen anbieten. Da besteht weniger Gefahr, dass Ihnen ein Glasauge aufs Haupt fällt.«
    Sie gähnte. »Lass den Unsinn.«
    »Schade. Ich dachte, du würdest meinem Charme erliegen und mir noch einen Augenblick des Glücks bescheren, bevor uns das Lachen endgültig vergeht.«
    »Komm mir lieber nicht zu nahe, ich bin eine Seelendiebin.«
    »Wer sagt denn so was?«
    »Ich«, antwortete Arian an Miras statt.
    Sie sah ihn streng an. »Was meinte er mit dem Auge? Hast du mich etwa angestarrt, während ich schlief?«
    Arian spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss.
    Ihre Hand löste sich aus der seinen und sie rückte ein Stück von ihm ab. »Mach dir keine falschen Hoffnungen, Arian. Wir sind Freunde, nicht mehr.«
    »Ich … äh … habe gar nicht …«
    »Ha!«, machte Tarin.
    Mira funkelte ihn zornig an. »Und für dich gilt das Gleiche, du verhinderter Don Juan.«
    »Ist ja schon gut. Man darf ja wohl noch gucken.«
    Sie richtete sich kerzengerade auf und strich die Falten ihres Kleides glatt. Ohne aufzublicken, fragte sie: »Ach übrigens, Nostradamus meinte doch, wir würden heute Abend unser Ziel erreichen. Hat jemand von euch in der letzten Zeit die Gegend ausgekundschaftet?«
    Auskundschaften – so nannten sie es, wenn einer von ihnen sein Auge vor eines der Löcher im Lederverdeck schob und nach draußen spähte. Die winzigen Öffnungen ließen gerade genug Luft und Licht herein, dass sie nicht in völliger Dunkelheit erstickten. Die Fahrt ging durch ein Flusstal nach Süden. Mira war der Ansicht, es handele sich um das Val d’Oise – die Oise war ein Strom, der bei Paris in die Seine mündete. Sie stützte ihre Vermutungen auf vage Anhaltspunkte, weil die Fenster des schwarzen Vierspänners von außen mit Holzplatten verhängt waren. Nostradamus bat um Verständnis, dass Morpheus die Lage seines geheimen Schlosses Ivoria nicht preisgeben wolle.
    Was der Metasomenfürst mit seiner »Einladung« tatsächlich bezweckte, darüber konnten die drei nur spekulieren. Tarin hielt es für ein grausames Katz-und-Maus-Spiel, in dem ihnen die Rolle der Nager zugedacht war. Mira zweifelte immer noch daran, dass Morpheus so durchtrieben war, wie es ihm der Deutsche unterstellte. Und Arian hing mit seiner Meinung irgendwo dazwischen. Er wollte nur seinen Körper wiederhaben und herausfinden, wer seine Eltern ermordet hatte. Falls Mortimer wirklich die Schwarzen Wölfe befehligte, führte wohl kein Weg an dem ältesten und mächtigsten Swapper vorbei. Natürlich behagte es Arian so wenig wie den anderen, seiner Freiheit beraubt und einem ungewissen Schicksal ausgesetzt zu sein.
    Immerhin reisten die drei in einer Kutsche, die mit ihren gepolsterten Sitzen und den Stahlfedern um einiges bequemer war als die rasenden Wagen der Royal Mail. Überdies durfte sich Mira darüber freuen, dass man ihre Reisetasche gefunden und ihr zurückgegeben hatte – nach gründlicher Untersuchung. Nostradamus war bei aller vordergründigen Höflichkeit ein sehr misstrauischer Mann. Deshalb zeigte ihn der Feuerkristall vermutlich mit einem Hyänenhaupt, ein altes Sinnbild für Unentschiedenheit, Unsicherheit und einen schwankenden Glauben. In der Antike meinte man, die Hyäne wechsele ihr Geschlecht von männlich zu weiblich und wieder zurück. So betrachtet war die Vorsicht des selbst ernannten Sternenfreunds wohl eher Schwäche als Tugend.
    Er bestand nicht nur darauf, die eingesammelten Pistolen und Schwerter im Gepäckkasten der Berline aufzubewahren, auch die »Gäste« (er vermied das Wort »Gefangene«) sperrte er in der stickigen Kutsche ein. Sogar zur Nachtruhe. Zwei Mal hatte er ihnen längere Pausen gegönnt, immer in einem finsteren Wald und nur zu später Stunde, wenn es bereits stockdunkel geworden war. Wollte einer tagsüber die Notdurft verrichten, musste er sich die Augen verbinden, ehe er ausstieg. Die Gelegenheit dazu bot sich

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