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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ungefähr alle zehn Meilen während der kurzen Zwischenhalte. Die berittene Eskorte aus Schwarzen Wölfen führte nämlich Ersatzpferde mit, die regelmäßig ausgewechselt wurden. Danach ging es wieder weiter, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her.
    »Wir reiten schon seit einiger Zeit durch einen Wald«, erklärte Tarin, nachdem er das Terrain erneut ausgekundschaftet hatte.
    »Auf Pflastersteinen?«, wunderte sich Mira.
    »Es ist eine richtige Promenade: breit und schnurgerade. Soweit ich erkennen konnte, ist es nicht die einzige in diesem Forst.«
    »Das muss der Forêt de Compiègne sein.«
    »Du bist nicht nur eine Seelendiebin, sondern auch Hellseherin?«
    »Das ist gar nicht nötig. König François I. hatte die ersten acht Straßen in diesem Wald anlegen lassen. Sie kreuzen sich im Puits du Roi , damit die Teilnehmer der Jagdgesellschaften sich darin nicht verirren. Später hat Ludwig XIV. den Stern in ein Achteck aus vierundfünfzig Wegen umgestaltet.«
    »Für ein Mädchen bist du ziemlich schlau.«
    »Ist nicht so schwer, klüger als du zu sein.«
    Tarin blitzte Arian an. »Was grinst du so?«
    »Ach, nichts. Ich frage mich nur, warum Morpheus so ein Riesengeheimnis um sein Schloss macht, wenn es in einem königlichen Lustwald liegt. Da hätte es doch längst schon jemand finden müssen.«
    Der Deutsche schob sein Auge wieder vor das Guckloch. »Ich schätze, das werden wir bald herausfinden«, murmelte er.

    Es dämmerte bereits, als die Kutsche endlich anhielt. Ein schwarz gekleideter Mann mit Dreispitz öffnete den Schlag und forderte die Passagiere mit verbissener Höflichkeit auf auszusteigen – vielleicht handelte es sich nicht um einen gezähmten Wolf. Auf die Augenbinden durften sie verzichten.
    Arian und Tarin verkeilten sich in der Tür, als sie gleichzeitig hinausdrängten. Jeder wollte Mira die Hand reichen, um ihr aus dem Wagen zu helfen.
    »Besser nicht«, sagte sie, kreuzte die Arme im Rücken und tänzelte mit elfenhafter Leichtfüßigkeit ins Freie.
    Einige Schritte entfernt stand Nostradamus am grasbewachsenen Ufer eines malerischen Waldsees. Sein weiter Talar flatterte ihm um den knöchernen Leib, dass man meinen konnte, eine Vogelscheuche zu sehen. Er wandte sich seinen Schutzbefohlenen zu, lächelte wie ein Krokodil und winkte sie zu sich heran. »Kommt. Ihr dürft euch glücklich schätzen, dass wir zur Stunde des Sonnenuntergangs eingetroffen sind. Gleich werdet Ihr ein Wunder erleben.«
    Sie gesellten sich zu ihm. Seine Freundlichkeit war ihnen nicht geheuer.
    »Seht!«, sagte der Sternenfreund und deutete mit seiner spinnenfingrigen Hand aufs Wasser hinaus.
    »Was?«, brummte Tarin.
    »Ja, da ist doch gar nichts«, bemerkte Arian.
    »Sie ist wie eine Heuschrecke im Gras – für das ungewappnete Auge bleibt sie unsichtbar, sosehr man sie auch anstarrt«, murmelte Mira.
    Ihre beiden Gefährten sahen sie verwundert an.
    »Ihr müsst fest an sie denken«, erklärte sie mit einer vagen Geste in Richtung See. »Wenn ihr dann den Blick von ihr abwendet, könnt ihr aus den Augenwinkeln ihr Spiegelbild sehen.«
    Nostradamus schmunzelte. »Wie mir scheint, hat Euer Vater Euch mehr über diesen Ort verraten, als dem Herrn des Schlosses lieb sein dürfte.«
    »Für mich war sie nur eine Gutenachtgeschichte.«
    »Sie?«, echote Arian. Er hatte keine Ahnung, wovon die beiden sprachen.
    »Die Insel, auf der Ivoria steht, das Elfenbeinschloss des Fürsten Morpheus«, sagte Mira.
    »Jetzt!«, hauchte Nostradamus. Der Himmel im Westen war feuerrot. »Könnt Ihr es sehen?«
    Mit dem Eiland im Sinn fixierte Arian einen Punkt am linken Ufer an und versuchte gleichzeitig aus den Augenwinkeln die Wasseroberfläche abzusuchen. Und dann erblickte er tatsächlich etwas.
    Auf den gekräuselten Wellen erschien das Bild einer mit Bäumen bewachsenen Insel. Und darauf stand, erhöht durch eine Plattform aus Marmor, ein weißer Palast wie aus einem orientalischen Märchen. Sein Erbauer hatte augenscheinlich ein Sinnbild vollkommener Harmonie erschaffen wollen, denn Arian fiel sofort die perfekte Symmetrie der achteckigen Anlage auf. Im Zentrum überragte den gigantischen Bogen des Hauptportals eine große, nach oben spitz zulaufende Kuppel. Ob sich Morpheus darin selbst verkörpert sah, als Fürst, der über allen anderen Metasomen thronte? Beiderseits duckten sich kleinere, pavillonartige Aufbauten wie unterwürfige Diener. In den vier Schrägen des weißen Oktogonsockels erhoben sich, riesigen Wächtern

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